Für Literaturkenner Rainer Moritz gehört die Buchhandlung Friedrich Schaumburg in Stade zu den 20 schönsten Europas

Stade. Was manche Stader insgeheim schon länger ahnten, steht jetzt Schwarz auf Weiß in einem kürzlich veröffentlichten Buch. Die Stader Buchhandlung Friedrich Schaumburg wird in einem Atemzug mit der Livraria Lello in Porto, der Selexyz Dominicanen in Maastricht und Daunt Books in London genannt und von Autor Rainer Moritz als eine der zwanzig schönsten Buchhandlungen Europas betitelt. Eine Ehre, die pünktlich zum 170-jährigen Bestehen für eine gelungene Überraschung im Haus sorgte.

Wer die Buchhandlung in der Großen Schmiedestraße 27 in Stade betritt, "weiß sofort, dass in diesem Haus keine Beliebigkeit herrscht und ein Geschäftssinn regiert, der um seine Wurzeln weiß", schreibt Moritz, der als Leiter des Hamburger Literaturhauses schon etliche Buchhandlungen von Innen gesehen hat.

Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte der Buchhandlung, die 1840 von Friedrich Schaumburg eröffnet wurde und heute in dritter Generation von Heide Koller-Duwe und ihrem Mann Sebastian Duwe geführt wird, erfährt der Leser viele persönliche Dinge. So sei Heide Koller-Duwe beispielsweise in ihrer Kindheit gern im Schlafanzug durch die Räume gelaufen; noch heute empfinde sie die Atmosphäre dort als Lebenselixier. Außerdem lernte sie ihren späteren Mann in der Buchhandlung kennen und lieben - ebenso wie zuvor ihre Mutter Christa ihren Vater Friedemann Koller, der als Gehilfe im Geschäft tätig war. Das ist, so Moritz, ein klares Indiz dafür, "dass der Geist einer exquisiten Buchhandlung amouröse Entwicklungen vorantreibt."

Ein Teil des Inventars geht auf die Anfangszeit zurück: eine hölzerne Regalwand mit eingelassener Uhr, Säulen, Bögen und handgemachte Türscheiben zeigen, wie es dort Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesehen haben mag. "Gelungene Stilmischungen an allen Ecken und Enden" zeichnen die historische Buchhandlung aus. So stehen aktuelle Bestseller nur ein paar Regale von alten Klassikern entfernt. Das angegliederte Antiquariat umfasst etwa 7000 Werke und macht heute etwa fünf Prozent des Umsatzes aus.

Ästhetische Kuriositäten wie der "Tabakneger" gehören zum Inventar

Auch der von einem Krämer übernommene "Tabakneger", wie er politisch ganz unkorrekt genannt wird, zieht seit Jahren im Eingangsbereich an seiner Pfeife. Den zählt der Literaturkritiker Moritz zu den ästhetischen Kuriositäten, die sich in großer Zahl in der Buchhandlung finden lassen. "Wer stellt heutzutage so was noch auf? Wer traut sich das?", fragt der Autor. Das zeuge von ein großen Portion Eigensinn. Besonders ansprechend sei auch die gemütliche Atmosphäre im Laden. "Der Buchhandlung merkt man an, dass sie familiär von einem spannenden Paar geführt wird", sagt er. Hier könne der Gast problemlos in eine Geschichte eintauchen und die Zeit vergessen.

Lobend erwähnt der Autor auch die "Schaumburg-Variationen", eine Veranstaltungsreihe, die von Familie Duwe nach dem Umbau im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurden. "Wir wollten die Fläche beleben und unseren Kunden zeigen, dass wir nicht nur Geschäfte machen, sondern Kultur bieten", erklärt Duwe.

In den vergangenen zehn Jahren organisierte das Ehepaar mehr als 100 Autorenlesungen, Inszenierungen, Vorträge und Ausstellungen, die von der Begeisterung für Literatur getragen wurden. Zu den Gästen gehörten Barbara Beuys (Biografie über Paula Modersohn-Becker), Friedrich Dönhoff ("Die Welt ist so, wie man sie sieht. Erinnerungen an Marion Gräfin Dönhoff"), Roger Willemsen ("Der Knacks") und Ulla Hahn ("Liebesarten").

Für Sebastian Duwe waren die Auftritte von Rafik Schami ("Das Geheimnis des Kalligraphen") ein besonderes Erlebnis. "Eigentlich ist jede Veranstaltung ein Highlight. Aber die Abende mit Rafik Shami sind vielen noch in bester Erinnerung, weil er eben nicht die klassische Lesung bietet, sondern eineinhalb Stunden lang erzählt."

Von der Ernennung zu einer der schönsten Buchhandlungen Europas erfuhr Duwe per Telefon: "Letztes Jahr hat uns der Verlag angerufen und informiert. Wir waren natürlich sehr erfreut und haben das als besondere Auszeichnung empfunden."

Diese wurde weiteren 19 schönen und außergewöhnlichen Buchhandlungen in Italien, Frankreich, England, der Schweiz und Deutschland zuteil. Für Moritz zeichnen sie sich durch unverwechselbare Eigenarten aus, legen Individualität an den Tag, werden allesamt von Enthusiasten unterschiedlichster Couleur betrieben und verführen den Kunden zum Lesen und Erleben.

Liste mit mehr außergewöhnlichen Buchhandlungen im Anhang

Die Kriterien, nach denen Moritz die Buchhandlungen auswählte, sind vielfältig. Eine ansprechende Buchhandlung müsse gut sortiert sein, mehr als nur Bestseller führen, vielleicht eine Wand mit Wagenbach-Artikeln gestalten, eine ansprechende Schaufenster-Dekoration bieten und eine hübsche Buchhändlerin, die dem Gast freundlich eine Tasse Kaffee anbietet, sagt er.

Für den Autor Moritz wird der Besuch einer Buchhandlung zu seinem unvergesslichen Erlebnis, sobald ein Zauber überspringe, wenn man lesend und redend die Zeit vergisst und zuletzt mit einer Tüte voller Bücher nach Hause gehe. Und tatsächlich sei es ihm bei seiner Reise schwer gefallen, auf Andenken zu verzichten. "Ich habe überall irgendwas mitgenommen. In Porto habe ich allerdings auf Bücher verzichtet, weil ich die die Sprache nicht spreche. Und in Paris bin ich stundenlang um die Erstausgabe des Leviathans von Julian Green herumgeschlichen. 500 Euro war mir dann aber doch ein bisschen zu viel Geld."

Wer einen Großteil der Ansprüche des Autors erfüllte, hatte gute Chancen, in das Buch aufgenommen zu werden. Die endgültige Entscheidung über Top oder Flop traf Moritz in enger Zusammenarbeit mit dem Gerstenberg-Verlag. Weitere Buchhandlungen, die sich in der engeren Auswahl befanden, sind in einer Liste im Anhang genannt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit."Natürlich ist die Sache mit der Schönheit ziemlich subjektiv", sagt der Autor. "Und vielleicht hätte man auch fünf Buchhandlungen gegen fünf andere austauschen können. Aber für mich ist das Ergebnis stimmig. Was nicht heißen soll, dass das alle so sehen." Neider hätten sich nach der Veröffentlichung des Buchs schon beim Verleger beschwert.