Aus der Schatzkammer der Archäologie: Spektakuläre Funde, die die Menschheitsgeschichte geprägt haben. Heute: der Faustkeil.

Historische Museen sind Schatzkammern der Menschheitsgeschichte. Eine dieser Schatzkammern befindet sich in Harburg: das Archäologische Museum Hamburg mit seinen Fundstücken, die viel über die Evolution und über die Entwicklung von Kulturen erzählen.

Gemeinsam mit Museumsdirektor und Landesarchäologe Professor Rainer-Maria Weiss begibt sich das Hamburger Abendblatt auf eine besondere Zeitreise und stellt elf Objekte aus längst vergangenen Epochen vor. Weiss erklärt, weshalb gerade diese Gegenstände entscheidend für die Menschheitsgeschichte waren.

+++ Die Ausstellung +++

Abends, wenn der letzte Besucher die frühgeschichtliche Ausstellung im Archäologischen Museum verlassen hat, schlendert Rainer-Maria Weiss manchmal noch einmal durch die Räume. Immer aufs Neue ist er von den Fundstücken fasziniert. Für Weiss stehen sie nicht für sich, sondern erzählen Geschichten und werfen viele Fragen auf, etwa wann und wo die Objekte gefunden wurden, wer sie fertigte, welcher Kultur sie angehörten und wer sie wofür nutzte. Und wie kamen sie in die Sammlung des Museums?

Vor einem kleineren Schaukasten bleibt der Direktor stehen. Der faustgroße grau-braune Stein, der hier zu sehen ist - grob bearbeitet und mit scharfen Kanten versehen - ist alles andere als ein Handschmeichler. Von der international bekannten Lichtplanerin Ulrike Brandi elegant ausgeleuchtet, wirkt er in der Vitrine fast wie ein Schmuckstück. "Und tatsächlich war so ein Faustkeil für die Menschen in der Steinzeit ziemlich wertvoll", sagt Weiss und greift nach dem Stein. Dieses Exemplar stammt aus dem Mittelpaläolithikum, etwa 30 000 bis 35 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. "Es ist das älteste Steingerät in der Ausstellung und wurde 1964 in Maschen gefunden."

Die ältesten Exemplare wurden vor etwa anderthalb Millionen Jahren in Afrika gefertigt. Der Faustkeil gilt als das charakteristische Werkzeug für den Homo erectus, den Vorfahren des modernen Menschen. Die bearbeiteten Steine markieren eine Epoche, in der sich laut Wissenschaftlern das menschliche Gehirn weiterentwickelte - eine Art Revolution in den Köpfen ging um.

Wer sich einen Faustkeil schlug, der führte ein Leben als Jäger und Sammler. Er zeigte, dass er sich zu helfen wusste, und hütete sein Steinwerkzeug wie einen Schatz. Frühmenschen benutzten solche Werkzeuge quasi als Erweiterung ihrer eigenen Körperteile und bearbeiteten oder veränderten damit andere Gegenstände oder Elemente ihrer Umwelt - ein wichtiger Teil der ökologischen Anpassung. Zuvor wurde meist nur mit einem Stock oder Knochen herumgegraben. "Insofern haben die Frühmenschen mit der Fertigung dieses Werkzeugs einen gewaltigen Entwicklungssprung gemacht", sagt Weiss. Diese Evolution der Steinzeittechnik verlief offenbar parallel zur Vergrößerung des Gehirns und zur Entwicklung des Sozialverhaltens.

Der Faustkeil war vielfältig im Steinzeit-Alltag einsetzbar: So eignet er sich mit seiner tropfenartige Form zum Abziehen eines Fells, zum Schneiden, Graben, Schlagen und Schaben. "Dass dieses Werkzeug sehr praktisch ist und sich leicht mittels Holzschlegel und Schlagsteinen herstellen lässt, hatte sich im Laufe von Tausenden von Jahren in Afrika, Europa und Asien herumgesprochen. Die dort gefundenen Faustkeile haben trotz unterschiedlicher Ausgangsmaterialien eine vergleichbare Form. Wenn man so will, war dies der erste weltweite Technologietransfer", sagt der Museumsdirektor.

Die Verbreitung des neuen Werkzeugpatents sei ohne Aufzeichnungen und Informationssystem vonstatten gegangen, sagt Weiss. Im ersten Stockwerk des Museums zeigt er auf eine Schublade, in der sich Faustkeile aus Frankreich und Afrika befinden. Noch heute sind sie scharf, und ließen sich nutzen zum Zerteilen des sonntäglichen Bratens. "Die Herstellung erfordert großes Geschick und Technik", sagt der Museumsleiter. Der erste Arbeitsgang ist nicht ungefährlich: Mit Muskelkraft wird von einem Gesteinsbrocken ein großes Stück abgeschlagen, das als Ausgangsmaterial für den Faustkeil in spe dient.

Der Brocken wird mit einem Schlagstein weiterbearbeitet, und durch abwechselndes Entfernen kleiner Stücke von beiden Seiten werden die dicksten Bereiche allmählich dünner, sodass eine fast symmetrische Form entsteht. Abschließend benutzte der Werkzeugmacher ein weicheres Schlaggerät, etwa aus Geweihresten, um dünne Splitter zu entfernen und eine saubere, scharfe Kante zu erzeugen. "Vielleicht hat man beim Abschlagen entdeckt, dass man mit den Funken, die dabei entstehen, ein Feuer machen kann - eine wichtige Entdeckung für die Frühmenschen", sagt Weiss.

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Auch das Maschener Steinwerkzeug wurde auf diese Weise geschaffen. Wie das Gerät ins Erdreich kam? "Solche Funde sind in unserer Region extrem selten. Denn eiszeitliche Gletscher überzogen das Land, zermalmten alle Gegenstände unter sich und schoben Gesteinsmassen vor sich her."

Ein 14 Jahre alter Schüler aus Maschen, Herbert Effinger, fand den heute im Museum ausgestellten Faustkeil auf einem Kieshaufen am Grundstück des Bauernhofs seiner Eltern. Sein Vater hatte zuvor eine Baugrube ausgehoben - im Steinhaufen vor der Kuhle lag der Faustkeil. "Leider brachte Effinger seinen tollen Fund erst ein paar Tage später ins Helms-Museum", sagt Museumsdirektor Weiss. "Unterdessen hatte sein Vater an der Fundstelle schon ein Haus gebaut, sodass die Forscher keine Gelegenheit mehr hatten, bei Ausgrabungen weitere Informationen herauszufinden."

Der Keil ist etwa zwölf Zentimeter lang und drei Zentimeter dick. Er ist aus Feuerstein geschlagen worden. Bearbeitungsspuren an den Rändern weisen darauf hin, dass der Faustkeil als Schneidewerkzeug genutzt wurde. Das steinzeitliche Werkzeug brachte man in Zusammenhang mit Funden von Mammut-, Nashorn- und Rentierknochen, die bei Baggerarbeiten in Neuland gefunden worden waren. "Daraus lässt sich folgern, dass eiszeitliche Mammutjäger im Niederelbegebiet lebten", sagt Weiss. Und so klobig der steinerne Gegenstand anmutet, "ältere Objekte sind noch erheblich gröber als der Maschener Faustkeil. Hier haben wir ein Feinwerkzeug."

Später entstanden buchstäblich ausgefeiltere Gegenstände wie Pfeilspitzen und kunstvoll gefertigte Steindolche. Aus Beilen wurden Zepter, die mit Ornamenten versehen wurden. "Das sind wunderbare Handwerksarbeiten, deren Besitz auch großes Prestige für die Menschen in der Steinzeit bedeutete." Sie waren Statussymbole.

"Machen wir einen Sprung ins Hier und Jetzt, denken wir nur an Leute, die ihre Autos verspoilern. In Maßen mag so etwas ja sinnvoll sein, aber überdimensioniert wird der ursprüngliche Sinn eines zweckmäßigen Gegenstands verfremdet und dient nur den Eitelkeitsansprüchen. Diese Entwicklung vom Werkzeug zum Prestigeobjekt - eine uralte menschliche Sache", sagt Rainer-Maria Weiss und legt den Faustkeil wieder in die Vitrine.

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Am kommenden Montag stellt Museumsdirektor Weiss das Fragment eines menschlichen Schädels vor