862 Senioren im Landkreis müssen mit Sozialhilfe ihre Rente aufstocken. Betroffen sind mit 590 Empfängerinnen vor allem Frauen.

Stade/Buxtehude. Kaffeetrinken gehen, Theaterbesuche oder gar Urlaubsreisen - all das ist für die 72-jährige Staderin undenkbar. Immer wieder reicht ihre schmale Rente am Ende des Monats nicht einmal für Lebensmittel. Dann landen Butterbrote statt Fleischgerichte auf dem Teller, und der Dispo auf dem Bankkonto wird genutzt. Obwohl immer mehr Rentner das Schicksal der 72-Jährigen teilen, will sie ihren Namen nicht nennen: "Ich schäme mich ein wenig."

So wie der zierlichen Staderin ergeht es 862 Menschen im Landkreis Stade. Um überleben zu können, beziehen die Senioren die so genannte Grundsicherung im Alter. Das entspricht dem Niveau von Hartz IV.

Die Tendenz ist steigend. Schließlich erhielten 2006 nur 795 Menschen über 65 Jahren zusätzlich zu ihrer Rente Sozialleistungen. Das ist eine Steigerung von 8,2 Prozent. Sie liegt deutlich über den bundesweiten Zahlen. Hier beträgt die Steigerung von 2007 zu 2008 lediglich 0,1 Prozent.

Vor allem Frauen sind im Landkreis auf Sozialleistungen angewiesen. 590 Seniorinnen müssen ihre Renten mit staatlichen Zuschüssen aufstocken. Das entspricht 68,4 Prozent der Grundsicherungsempfänger im Alter.

In ihrem Bekanntenkreis sei die 72-jährige Staderin die Einzige, die zum Amt gehen müsse. Dennoch wüssten ihre Freunde von ihrer Finanzmisere und unterstützen die Seniorin. Manchmal stoße sie aber auch auf Unverständnis in ihrem Umfeld: "Die glauben mir dann nicht, dass ich so wenig Geld habe." Die Rente beträgt nur 512 Euro, obwohl die geschiedene Staderin mehr als 45 Jahre lang auf ihrem eigenen Obsthof gearbeitet hat. "Trotz jahrelanger Arbeit reicht es nicht. Das macht mich traurig." Insgesamt müssen 734 Euro zum Leben reichen. Mit 222 Euro Grundsicherung erhält sie deutlich weniger als der durchschnittlich gezahlte Zuschuss in Höhe von 344 Euro.

Von den 734 Euro sind knapp 400 Euro sind allein für die Miete und Nebenkosten fällig. "Da bleibt nicht viel übrig. Eigentlich reicht das nicht zum Leben." Sie brauche daher kein Haushaltsbuch. Das Geld sei so wenig, dass sie es auch ohne Notizen verwalten könne.

Mit ihren 734 Euro ist die Seniorin laut Berechnungen von Statistikern arm. Denn wer weniger als 913 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, gilt als arm. Und die 72-Jährige führt in der Tat ein armes Leben. Neue Kleidung und Schuhe werden selten gekauft, und wenn, dann per Ratenzahlung. "Kaputt gehen darf auch nichts. Der Fernseher und die Waschmaschine müssen halten." Sich mit Freunden in der Stadt auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen treffen, sei ebenso nicht im Budget drin. "Das geht nur, wenn ich eingeladen werde oder wenn ich dafür auf andere Dinge verzichte." Meistens backe sie Kuchen und Torten selbst - auch das spare Geld. Gönnt sie sich dann noch einen kleinen Luxus, dann spare die Rentnerin meistens am Essen.

In der Vorweihnachtszeit belastet die Altersarmut sie besonders. Die 72-Jährige hat vier Enkelkinder, doch beschenken kann die Staderin sie nicht. Das schmerze sehr, da sie in Kanada leben und daher ohnehin wenig von ihrer Großmutter hätten. Der größte Traum sei eine Reise nach Bayern. Die gebürtige Schlesierin liebt die Berge. "Das wäre schön. Anfang der 90er-Jahre bin ich das letzte Mal verreist." Doch das bleibe wohl nur ein Traum. An einen Nebenjob habe die Seniorin bereits gedacht, doch aus gesundheitlichen Gründen geht das nicht. Seit einem Sturz benötigt die 72-Jährige einen Rollator. Einen Mini-Job anzunehmen, sei daher unmöglich. Andere Senioren arbeiten hingegen, um ihre Renten aufzubessern. Im Landkreis arbeiten 1738 Menschen über 65 Jahre. Vor sechs Jahren hatten noch 1298 Rentner einen Mini-Job, was einem Plus von etwa 75 Prozent entspricht. Sie schuften, damit sie auch am Ende des Monats Fleisch essen können, im Gegensatz zu der 72-Jährigen.