Freiberuflerinnen verdienen an den Geburten zu wenig. Im Kreis Stade droht jetzt eine Versorgungslücke.

Kreis Stade. Nach acht Monaten Vorbereitungszeit sollte Ende Oktober ein Informationstag zum Thema Hebammenhilfe in der Evangelischen Familienbildungsstätte (Fabi) Kehdingen/Stade stattfinden. "Die Veranstaltung mussten wir leider absagen. Das Interesse war zu gering", erklärt Kreisverbandsvorsitzende Manuela Raydt. Dabei hätte das Thema große Aufmerksamkeit verdient. Auch im Landkreis Stade droht eine Versorgungslücke in der Betreuung von Familien und Frauen.

Der Knackpunkt: Hebammen verdienen zu wenig. Für eine sogenannte "Beleggeburt", bei der eine Freiberuflerin in der Regel elf Stunden im Einsatz ist, zahlen die Krankenkassen beispielsweise 224,40 Euro brutto. Mit einem Stundenlohn von 7,50 Euro netto, monatlichen Fixkosten im vierstelligen Bereich für Versicherungen, Miete, Altersvorsorge, Auto, Telefon und mehr könnten Hebammen "trotz aller Motivation" ihren flächendeckenden Versorgungsauftrag nicht länger erfüllen, sagt Raydt. "Wir lieben unseren Beruf. Aber der Lohn deckt oftmals nicht einmal die Ausgaben."

Insgesamt gibt es im Kreis 54 Hebammen. Von den 22 Freiberuflerinnen arbeiten lediglich acht in Vollzeit. "Wer von seinem Einkommen leben will, muss schon ganz schön viel dafür tun", sagt die Stader Hebamme. "Das macht Druck. Die wenigsten halten heutzutage noch bis zum Rentenalter durch." Die Konsequenz: Ganz Kehdingen ist bereits heute komplett unterversorgt. Und in Fredenbeck fällt ebenfalls eine Hebamme für längere Zeit aus, weil sie vor kurzem selbst Mutter geworden ist.

Schuld daran seien auch die gesetzlichen Vorgaben: "Alles, was wir tun, müssen wir sorgfältig dokumentieren. Der große bürokratische Aufwand hält uns zunehmend von unserer eigentlichen Arbeit ab. Und vieles ist einfach unsinnig und teuer."

Ein Beispiel: Seit November 2007 gibt es die sogenannten "Quittierungsbögen". Hebammen müssen diese zeitnah von den betreuten Frauen unterzeichnen lassen und dann per Post an die Krankenkassen schicken. Die sind wiederum verpflichtet, innerhalb von drei Wochen das Geld zu avisieren. "Das klappt aber in den wenigsten Fällen", sagt Raydt.

Auch für Medikamente und medizinische Utensilien müssten Hebammen immer wieder in Vorleistung gehen.

Weil Mütter die Klinik heute in der Regel selbst nach einer Kaiserschnitt-Entbindung nach drei Tagen wieder verlassen, tragen Hebammen eine noch größere Verantwortung für Mutter und Kind, besuchen sie in den eigenen vier Wänden und sind praktisch Tag und Nacht erreichbar - als Freundin, Seelsorgerin oder sogar Familienersatz.

"Wir arbeiten viel häufiger als früher im psychosozialen Bereich, reden mehr, müssen immer öfter Anleitungen für ganz alltägliche Dinge geben, wie Essen kochen. Zunehmend schwierig finde ich auch, dass viele werdende Eltern oft falsch informiert sind, weil sie Antworten im Internet suchen", erzählt Raydt.

Ein weiteres Problem: die Fahrtkosten. 59 Cent zahlen Krankenkassen für die ersten 20 Kilometer. "Alles darüber hinaus ist unser eigenes Vergnügen", erzählt die Stader Hebamme. Für Flächenlandkreise sei diese Regelung völlig "unverhältnismäßig".

Hinzu kommt, dass dem Berufsstand in zweierlei Hinsicht der Nachwuchs fehlt. "Zum einen werden immer weniger Kinder geboren. Das macht sich schon jetzt in unserer täglichen Arbeit bemerkbar. Zum anderen sind immer weniger junge Frauen bereit, in unserem Beruf zu arbeiten", erzählt Karen Last.

Sie ist als Beleghebamme im Krankenhaus in Buxtehude tätig. Dort gibt es noch die sogenannte 1:1-Betreuung, die sich die Hebammen für alle werdenden Mütter wünschen. Die Realität in anderen Häusern sieht anders aus: Oftmals finden mehrere Geburten gleichzeitig statt, es fehlt Personal und in manchen Krankenhäusern ist auch noch die Ausstattung schlecht.

"Familienpolitik wird großgeschrieben, aber beim Start ins Leben wird rigoros gespart. Das passt doch nicht zusammen", kritisiert Last.

Wie wichtig Hebammenhilfe für Familien ist, weiß Melanie Jarck aus Stade. Die dreifache Mutter hat ihre gesetzlichen Anspruch auf Geburtsvorbereitung jedes Mal voll ausgeschöpft. "Jede Schwangerschaft ist anders. Und ich hatte bei allen meinen Kindern andere Fragen. Meine Hebamme war für mich eine Freundin - mit dem Fachwissen eines Arztes. Es wäre schön, wenn jede Frau dieses Angebot nutzen könnte."

Am 26. November wollen sich Hebammen aus ganz Deutschland zwischen 11 und 15 Uhr mit einer Kundgebung in Berlin Gehör verschaffen. Und auch die Stader Hebammen wollen an der Protest-Aktion teilnehmen.