Wichtigster Grund: Sie müssen nicht 19 Prozent, sondern nur sieben Prozent Umsatzsteuer zahlen.

Stade. Die Zeiten, in denen in Behindertenwerkstätten nur Holztiere geschnitzt und Wäscheklammern gefertigt wurden, sind lange vorbei. Einrichtungen wie die Schwinge-Werkstätten vom Deutschen Roten Kreis (DRK) in Stade sind fester Bestandteil der regionalen Wirtschaft und aus vielen Produktionsprozessen nicht mehr wegzudenken. "Wir bedienen eine wirtschaftliche Nische", sagt Ulrich Tipke, einer von drei Werkstattleitern.

520 Menschen mit Behinderungen sind in den Werkstätten an der Straße Am Hofacker beschäftigt. Der Jahresumsatz der Einrichtung bewegt sich zwischen fünf und sechs Millionen Euro. Zum Kundenstamm gehören große Namen wie Airbus, aber auch kleine örtliche Betriebe und Privathaushalte. Das Angebot umfasst Druckerei, Metallbau, Wäscherei, Garten- und Landschaftspflege, eine Tischlerei und eine Möbelwerkstatt. In jeder Abteilung arbeiten Meister und Gesellen als Gruppenleiter, die für die Arbeit mit den Behinderten noch eine einjährige pädagogische Zusatzausbildung absolviert haben.

Neben der Arbeit können die Behinderten in viele Zusatzangeboten alltägliche Dinge wie Lesen oder Schreiben lernen, oder sich auch sportlich betätigen. Bei den Special Olympics für Menschen mit geistiger Behinderung gehören die Schwinge-Sportler zu den Medaillenkandidaten.

Örtliche Handwerksbetriebe hingegen beäugen die seit Jahren wachsenden Schwinge Werkstätten mit gemischten Gefühlen. "Ich ziehe absolut meinen Hut vor der Leistung des DRK und habe Hochachtung vor dem, was den Behinderten dort geboten wird", sagt Bauunternehmer Diethard Heidemann von der Kreishandwerkerschaft. Weniger erfreulich allerdings empfindet er die ungleiche Wettbewerbssituation: "Was würden Sie als Kunde machen, wenn Sie die Wahl zwischen sieben und 19 Prozent Mehrwertsteuer haben? Denn der Gesetzgeber will es, dass Behindertenwerkstätten mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz abrechnen dürfen. Wer bei gleicher Leistung zwölf Prozent sparen kann, macht das auch, so ist Heidemanns Erfahrung. Speziell im Garten- und Landschaftsbau bekämen die örtlichen Betriebe dies zu spüren.

Werkstattleiter Tipke kennt die Vorwürfe, kontert jedoch mit dem Hinweis, dass diese Betriebe keine Behinderten beschäftigen würden. Laut Gesetz müssen Unternehmer jeden 16. Arbeitsplatz mit einem behinderten Mitarbeiter besetzen, ansonsten sind Ausgleichsabgaben fällig. Unternehmen wie Airbus bedienen sich hierbei eines legalen Umwegs: Bei Aufträgen an die Schwinge-Werkstätten können 50 Prozent der Dienstleistung als Ausgleichsabgabe angerechnet werden. Matthias Steffen von der Handwerkskammer sieht hier die Politik in Zugzwang: "Wenn das Handwerk mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz arbeiten dürfte, wäre das Problem vom Tisch", sagt er, und verweist auf das Hotelgewerbe oder Nachbarländer wie Frankreich, wo das bereits praktiziert wird.

Beschäftigen wie Anja Ganz aus der Wäscherei der Werkstätten ist das egal. Die 33-Jährige freut sich jeden Tag darauf, Hemden und Pullover zusammenzulegen. Für sie sind die Schwinge Werkstätten der Lebensmittelpunkt. "Die Arbeit macht mir Spaß", sagt sie voller Überzeugung. Nicht jeder Arbeitgeber hat so zufriedene Angestellte.

www.schwingewerkstaetten.de