Überraschende Erfahrung: Die Arbeit mit alten und dementen Menschen kann tatsächlich eine Menge Freude bereiten.

Buxtehude. Wenn ich ihn doch nur zum Lächeln bringen könnte. Aber Edmund Münch schaut mit seinen grau-blauen Augen glatt durch mich hindurch. Die Lippen sind fest zusammengepresst. Der 92-Jährige scheint mich gar nicht zu bemerken. Münch ist einer von insgesamt 50 Senioren, die an Demenz leiden und derzeit im Dr.-Neucks-Altenheim des Deutschen Roten Kreuzes in Buxtehude untergebracht sind. Insgesamt wohnen 93 betagte Frauen und Männern in dem Haus.

Wir sitzen im Pavillon an einem Tisch mit gelb-grüner Decke und gelben Blumen. Vier weitere Tische sind im Raum verteilt. Jeder der Bewohner hat ein Glas mit Saft oder Wasser vor sich stehen. Licht fällt durch die Fenster, die bis auf den Boden reichen. Das Heim hat sich viel Mühe gegeben, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. An den Scheiben hängen Fensterbilder mit Blumen- und Pferdemotiv. "Rosamunde, schenk mir dein Herz und sag ja" dudelt es leise aus einem Radio.

Viel kann ich nicht tun, aber ich kann für die alten Menschen da sein. Ich frage Münch, wie es ihm geht, welche Musik er früher gern gehört hat. Er antwortet nicht, sondern blickt weiterhin starr geradeaus. Dafür ist Hildegard Pape (83), die neben ihm sitzt, umso redseliger. "Alles besser", sagt sie. "Ohh, besser. Alles besser." Immer wieder "alles besser". "Ja, alles gut. Alles besser", antworte ich.

"Sie hatte einen Schlaganfall", erklärt die Pflegehelferin Gisela Dircksen (44) und streicht der Frau über die Schulter. Wenige Minuten später reicht sie ihr einen Löffel mit Kuchenteig. "Lecker?", frage ich. "Alles besser", sagt sie wieder, diesmal mit einer sehr weichen Stimme, und schleckt den Kuchenteig genüsslich ab. An diesem Tag backen die Betreuer mit den Heimbewohnern Pflaumenkuchen. Dabei versuchen sie, die alten Menschen so gut es geht in den Alltag zu integrieren. Hildegard Menzel übernimmt die Regie beim Kuchenbacken und bekommt eine Schürze umgebunden. Die 90-Jährige ist für ihr Alter erstaunlich fit. "Geizt mal nicht so mit der Butter", ruft sie den Pflegern zu, bevor sie sich an das Einfetten der Backform macht. Lilly Bollhorn (89) ist für den Kuchenteig verantwortlich. "Zucker fehlt noch", sagt sie und kneift etwas die Augen zu, als sie den Teigrührer anwirft und das Mehl staubt.

Bevor sich die Senioren über den Kuchen hermachen, steht noch Gymnastik an. Pflegehelferin Irmgard Steffens (62) gibt den Ton an, startet aber erst eine kleine Plauderei über das Wetter. Damit kann jeder etwas anfangen, auch wenn so mancher Bewohner vergessen hat, welcher Tag gerade ist. "Sie haben es sicher schon gemerkt, die Tage werden kürzer", sagt Steffens. Das Siezen ist Maxime des Hauses. Die Pfleger bleiben bewusst auf Distanz. "Muss so sein", sagt Steffens. Ein Weg, um die Einzelschicksale nicht zu sehr an sich heran zu lassen. "Jetzt kommt die Mundgymnastik", sagt Steffens und meint damit das Singen.

"Den Schnee-Schnee-Schnee-Schnee-Walzer tanzen wir", schmettern Rudolf Biele (86) und ich. Wir sind weit vom Tanzen entfernt. Stattdessen schunkeln wir im Sitzen und schwenken blaue und gelbe Tücher hin und her. Ich stütze seinen rechten Arm, der sonst nicht recht mitmachen könnte. Es fühlt sich gut an, mit anpacken zu können. Biele lacht mich an. "Na, bitte, geht doch wie nichts", sagt er. Ein schöner Moment. Dafür hat es sich alleine schon gelohnt, sich eine Stunde lang als Altenpflegerin zu erproben.

Dass der ehemalige Fahrschullehrer tatsächlich dement ist, merke ich erst, als ich ihn frage, wie lange er schon im Seniorenheim ist. "14 Tage", antwortet er und die Pflegehelferin Dircksen korrigiert: "Ein Jahr." Biele sagt: "Ich konnte plötzlich schlecht laufen. Sonst ist alles fit."

Nicht alle Bewohner so gut aufgelegt wie Biele. Beim Singen verschanzen sich einige hinter den Büchern und machen nicht mit. Oder sie winken wortlos ab, wenn man ihnen etwas anbietet. "Man muss sehr, sehr viel in diesem Job geben", sagt Steffens, die bereits seit 17 Jahren in dem DRK-Heim arbeitet. Nicht immer kommt das Erhoffte zurück. "Aber man darf die Bewohner zu nichts zwingen", betont die Frau aus Wangersen. Wichtig seien Zuneigung und Liebe. Immer wieder streicheln die Betreuer den Senioren über die Hand, legen den Arm um die Schulter, halten einen kleinen Schnack hier und dort, stecken ihnen Pflaumen in den Mund oder reichen ihnen einen Löffel Kuchenteig.

Am Ende taut sogar Edmund Münch auf. Vielleicht habe ich ihn lange genug angeschaut. Es erscheint wie ein Geistesblitz, ein klarer Moment. "Nur nicht den Mut verlieren", sagt Münch plötzlich. "Es ist wichtig, dass man nicht alleine ist."