Der Vorwurf: Die Stader Politik sei “gewillt, den Worten der Industrie zu folgen“. Bürgermeister Rieckhof weist das zurück.

Stade. Mehrere Stader Bürgerinitiativen und Mitglieder des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Stade sind verärgert über Politik und Verwaltung. Stein des Anstoßes ist die jüngste Entwicklung bei den geplanten neuen Kohlekraftwerken in Stade-Bützfleth. Vertreter des Energiekonzern E.on, der dort eines der Kraftwerke bauen möchte, baten in der vergangenen Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umweltfragen darum, dass ein Bebauungsplan für das Bützflether Gebiet, auf dem das Unternehmen den Bau eines 1100 Megawatt Kohlekraftwerkes plant, aufgestellt wird. Die Stader Politiker begrüßten im Ausschuss den Vorstoß des Unternehmens, sprachen von einer "vertrauensbildenden Maßnahme" des Energiekonzerns.

Problem: Ein identisches Anliegen, das erst Anfang Mai von den Bürgerinitiativen und dem BUND im Rathaus vorgetragen wurde, hatte die Stadt Stade am 3. Juni noch abgelehnt.

Für den BUND und die "Bürgerinitiative Stade-Altes Land, Pro erneuerbare Energien kontra Kohlekraftwerke (BI-SA)" sowie die "Bürgerinitiative für eine umweltverträgliche Industrie (BI-UI)" sei es, so heißt es in einem offiziellen Schreiben, "um so überraschender, dass nunmehr beim ersten Vorstoß der E.on alle Parteien dies als einen sinnvollen Verfahrensvorschlag einhellig begrüßten".

Bürgermeister Andreas Rieckhof erklärte gegenüber dem Abendblatt: "Die aktuelle Entwicklung durch den Antrag von E.on hat mich doch nachdenklich gestimmt."

Die beiden Bürgerinitiativen und die BUND-Kreisgruppe Stade, die sich in dem Kraftwerksbauverfahren seit Jahren politisch engagieren, begrüßen zwar offiziell die Entscheidung des Energiekonzerns, die Stadt Stade um die Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gelände an der Schwingemündung zu bitten, weil Stade damit Farbe bekennen müsste. Dass nun aber ein angeblich allseitiges Einvernehmen besteht, finden die Bürgerinitiativen doch kurios.

Als die Bürgerinitiativen und der BUND gemeinsam mit der Bürgerinitiative Haseldorfer Marsch am 1. Mai exakt die gleiche Forderung an die Hansestadt Stade gestellt hatten, ließ Stades Bürgermeister Andreas Rieckhof den Antragstellern mitteilen, dass er "keine Erfordernis" für die Aufstellung eines Bebauungsplanes sehe. Begründet wurde die Entscheidung aus dem Rathaus unter anderem damit, dass der Flächennutzungsplan der Stadt Stade aus dem Jahr 2000 den vorgesehenen Kraftwerksstandort als gewerbliche Baufläche ausweise und die gesamte Fläche seit dem Beginn der 70er-Jahre "de facto ein Industriegebiet" sei und alle nötigen Klärungen und Nachweise im Rahmen des Verfahrens nach dem Bundesimmissionsschutzgesetzes erfolgen könnten.

Für die Bürgerinitiativen und den BUND war es "völlig unverständlich", dass die Stadt "ohne Not auf die planungsrechtlichen Möglichkeiten der Stadt, auf das Projekt Einfluss zu nehmen", verzichten wolle. Auch die Reaktion der Ratsfraktionen der großen Parteien habe "keine Bereitschaft erkennen lassen, sich in einem öffentlichen Diskussionsprozess über die Ansiedlung eines Kraftwerks in Stade zu stellen". Diese "plötzliche Kehrtwende" zeige, so BI-SA, BI-UI und BUND, dass die Hansestadt Stade "offensichtlich eher gewillt ist, den Worten der Industrie zu folgen, als sich mit dem Anliegen der Bürger der Stadt zu beschäftigen".

Das sieht der Bürgermeister anders: "Ich glaube, dass wir jetzt für einen Bebauungsplan sind, zeigt, dass wir mehr Transparenz wollen und dass wir im Zweifel lieber eine weitere planrechtliche Grundlage haben sollten."

Die bisher von der E.on und der Stader Verwaltung vertretene Einschätzung, es bedürfe für das Vorhaben keines Bebauungsplanes, ist rechtlich zumindest zweifelhaft, glauben Bürgerinitiativen und BUND.

Eine detaillierte fachliche Auseinandersetzung mit den Planungen für das Kohlekraftwerk sei nun geboten, denn so könne die Stadt im Rahmen eines Vorhaben bezogenen Bebauungsplanes Einfluss ausüben. Dadurch könne nach Ansicht von BI-SA, BI-UI und BUND über die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetztes hinausgehende Beschränkungen für Luft- und Wasseremissionen festgelegt der Lärmschutz definiert und die politische Forderung nach einer Kraftwärmekopplung verbindlich festgeschrieben werden. Obgleich der Wunsch nach Aufstellung eines Bebauungsplanes durch die E.on begrüßt werde, halten die Bürgerinitiativen und der BUND den Bau neuer Kohlekraftwerke angesichts der Klimadebatte generell für einen Irrweg.