Viele Indizien - aber am Ende überwog der Zweifel. Der Mord vor 22 Jahren bleibt weiterhin ungeklärt. Michael B. ist auf freiem Fuß.

Stade. Freispruch, so lautete Freitag um 12.30 Uhr das nicht unerwartete Urteil des Landgerichts Stade im Mordfall Sonja Ady. Dem Angeklagten Michael B. aus Himmelpforten konnte die Staatsanwaltschaft nicht unwiderlegbar nachweisen, dass dieser in der Nacht zum 23. August 1987 die damals 16-jährige Sonja Ady in der Gemarkung Eberstorf nach einem Diskobesuch brutal ermordet hat.

Sonja Ady war an jenem Wochenende in der Diskothek Ta-Töff in Bevern. Sie traf sich während des Diskobesuchs im Auto mit dem damals 19-jährigen Michael B. und hatte mit ihm sexuellen Kontakt. Später hatte sie sich wohl zur Disko zurückbegeben. Nach Zeugenaussagen wollte Ady später, gegen 2 Uhr nachts, noch zu einer anderen Feier - per Anhalter. Die Partynacht wurde ihr aber zum Verhängnis. Gegen 4 Uhr wurde die 16-Jährige damals, gefesselt und geknebelt, mit mehr als 67 Messerstichen in den Hals- Brust- und Genitalbereich umgebracht. Ihre nackte und ausgeblutete Leiche wurde am darauffolgenden Morgen auf einem Feldweg gefunden.

Lange schien es so, als spreche alles in dem Mordprozess vor dem Stader Landgericht gegen den Angeklagten. Sein Alibi erschien der Staatsanwaltschaft wenig glaubhaft und seine DNA wurde massiv an Beweisgegenständen des Mordes nachgewiesen. Deutlich ins Kippen geriet der Fall erst durch ein Gutachten. Das bescheinigte, dass eine Sekundärübertragung der DNA des Angeklagten auf das Seil und die Socke, mit der das Opfer gefesselt und geknebelt wurde, nicht auszuschließen sei. Ein notwendiger, überzeugender Nachweis der Täterschaft des Himmelpfortners konnte, so der Vorsitzende Richter Bernd Appelkamp in der Urteilsbegründung, nicht erbracht werden. Ein Schuldnachweis habe sich somit nicht führen lassen.

Der Vater der ermordeten Sonja Ady nahm das Urteil ruhig, aber mit Tränen in den Augen zur Kenntnis. Er zweifelt daran, ob der Mord an seiner Tochter jemals gesühnt wird. Bis zuletzt war er von der Täterschaft von Michael B. überzeugt. Der Angeklagte selbst nahm seinen Freispruch ruhig, fast regungslos zur Kenntnis. Sein Verteidiger, der Rechtsanwalt Lars Zimmermann, erklärte später, seinem Mandanten sei "eine Last von den Schultern gefallen". Er kritisierte nach der Urteilsverkündung die öffentliche Vorverurteilung seines Mandanten. "Wir leben in einem Rechtsstaat und da hat jeder als unschuldig zu gelten, bis vor Gericht das Gegenteil nachgewiesen wird", so Zimmermann. Viele - allen voran die Mordkommission in Rotenburg - hätten sich "weit aus dem Fenster gelehnt".

In ihrem gestrigen Plädoyer rügte die Verteidigung die Arbeit der Mordkommission. Dass Asservate verschwunden sind, sei schwer entschuldbar. Dass Protokolle gefälscht worden sein sollen, sei ungeheuerlich. "Ich erwarte mehr von einer Mordkommission", so Zimmermann.

Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft war für die Verteidigung wenig überzeugend. Der Versuch, B. mittels des DNA-Materials zu überführen, sei gescheitert, auch weil er nicht hieb- und stichfest war. Nach Ansicht der Verteidigung würden mehr Beweise für die Unschuld des Angeklagten sprechen, als für dessen Schuld. Vor allem, dass sich acht Zeugen gleichzeitig in ihren Aussagen geirrt haben sollen, wurde als wenig glaubhaft angesehen..

Auch ein fehlendes Mordmotiv warf die Verteidigung der Staatsanwaltschaft vor. "Warum sollte mein Mandant Sonja Ady umbringen wollen?", fragte Zimmermann. "Und woher sollte er das Messer und einen landwirtschaftlichen Strick haben?" Diese Fragen seien von der Staatsanwaltschaft nicht beantwortet worden.

Auch dass der Angeklagte das Blut von seinem nackten Körper habe "abregnen lassen", damit keine Blutspuren nachweisbar seien, fand die Verteidigung "aberwitzig". "Das ist ja wie im Fernsehen!", so Zimmermann.

Für die Verteidiger stehen und standen andere stärker im Tatverdacht als der 42-jährige Himmelpfortener. Doch dass der Mörder von Sonja Ady eine Tages gefunden und verurteilt wird, hält Zimmermann für zweifelhaft.