Wie es zum tragischen Tod von zwei Menschen kam, ist bislang noch unklar.

Jork. Es ist eine Tragödie: Renate S. hat überlebt. Doch die zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben hat die 59-Jährige verloren. Ihr Mann Herbert S. (54) und ihr 28-jähriger Sohn Toni kamen gestern früh bei einem Brand in ihrer Dachgeschosswohnung in Jork-Borstel ums Leben.

Das Feuer war aus bislang ungeklärter Ursache gegen 5.30 Uhr ausgebrochen. Was sich dann abgespielt hat, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. Nach den bisherigen Ermittlungen der Polizei hatte Toni S. den Brand entdeckt und seine Mutter geweckt. Daraufhin sei die 59-Jährige vors Haus geflüchtet. Toni S. und sein Vater hätten es nicht mehr rechtzeitig aus der Wohnung geschafft.

Jedoch behaupten Feuerwehrleute, dass Toni S. seine Mutter vor die Haustür gebracht hatte - und dann noch einmal hochrannte, um seinen Vater zu retten.

Toni S. befand sich in einer Ausnahmesituation. Der eigene Vater in Lebensgefahr - wer hat da die Nerven, zu warten, bis die Feuerwehr eintrifft? Toni S. habe dann oben nach seinem Vater gesucht, der vermutlich im Flur direkt hinter der Wohnungstür lag. Doch der 28-Jährige sah die Hand vor Augen, sah ihn nicht - so undurchdringlich war der Rauch. Er habe dann im rückwärtigen Teil der Wohnung nach ihm gesucht, während seine Mutter, nur mit Unterwäsche bekleidet und eingehüllt in ein Bettlaken, vor dem Haus um ihr Leben zitterte. "Aua" habe sie ihn noch schreien gehört, sagen Feuerwehrleute später.

Ist Toni S. in eine tödliche Falle gerannt? Der giftige Brandrauch hatte den 28-Jährigen offenbar in kürzester Zeit außer Gefecht gesetzt - er erstickte, starb an den Folgen einer Rauchgasvergiftung, während sein Vater verbrannte. "Zwei bis drei Atemzüge reichen aus, um einen Menschen bewusstlos zu machen", sagt Feuerwehrsprecher Stefan Braun. Der Qualm enthält einen hohen Anteil des giftigen Gases Kohlenmonoxid.

Obstbauer Frank Köpcke war als erster Feuerwehrmann am Mehrfamilienhaus, allerdings ohne Atemschutzgerät. "Da war überall dichter beißender Rauch", sagt er. Er und ein jüngerer Kamerad gingen hoch zur Wohnung. "Das Feuer brannte sich schon durch die Wohnungstür", sagt er. Um das eigene Leben nicht aufs Spiel zu setzen, seien sie wieder umgekehrt. Der Jüngere fragte ihn nach dem Brand: "Hätten wir sie denn nicht noch retten können?" Köpcke konnte nur antworten: "Nein, keine Chance."

Für die Feuerwehr, die mit 150 Mann anrückte, war der Einsatz ohnehin schwierig. Um den Brandort zu erreichen, mussten die Aktiven eine enge Zufahrt durch einen Kirschhof passieren, die Geräte teils zum brennenden Haus tragen. Immer wieder flackerte das Feuer auf, weil zahlreiche Rigipsdecken in das Dach eingezogen waren. Eternit-Platten auf dem Dach platzten aufgrund der Hitze und "flogen wie Geschosse auf uns herunter", sagt Kreisbrandmeister Gerhard Moldenhauer.

Fünf Stunden nach dem Inferno hängt der Brandgeruch noch schwer über dem kleinen Ort am Elbdeich. Hausbesitzer Hans Arp sammelt in einem Schuppen in Mitleidenschaft gezogenen Hausrat. Auf 300 000 Euro schätzen Polizei und Feuerwehr den Schaden. Vom Dachstuhl sind nur noch verkohlte Balken übrig. "Das ist eine Katastrophe", sagt Arp.

Martin Becker lebte mehr als zehn Jahre in der Wohnung unterhalb von Familie S. "Ich hörte einen unglaublichen Lärm, da bin ich gleich raus gerannt", sagt er. Am Morgen nach dem Brand schleppt er aus seiner Wohnung, was ihm geblieben ist: Kisten mit Lebensmitteln, ein paar Kleidungsstücke. An seinem Geburtstag liegt seine Existenz in Schutt und Asche - gestern ist er 61 Jahre alt geworden. Das Löschwasser hat die 70 Quadratmeter große Wohnung komplett zerstört. Überall Asche, noch immer ist es heiß, das Wasser tropft von der Decke, sammelt sich in riesigen Lachen auf dem Boden.

Fast 25 Jahre hat Familie S. im Haus von Hans Arp gelebt. Toni S. war auf einem nahe gelegenen Obsthof beschäftigt, seine Mutter Renate arbeitet als Kellnerin. Die Familie galt als freundlich und umgänglich, lebte aber recht zurückgezogen. "Sie hatten kaum zu jemandem Kontakt", sagt ein Bekannter. Eine Nachbarin erinnert sich an Toni S. als "ruhigen, netten und hilfsbereiten Menschen". Jeden Morgen habe sie ihn gesehen, wie er auf dem Weg zur Arbeit an ihrem Haus vorbeilief und ihr einen "Guten Tag" wünschte.

Noch völlig unklar ist, warum das Feuer in den frühen Morgenstunden ausgebrochen ist. "Möglicherweise hat sich der Brand im Wohnzimmer entzündet", sagt Kreisbrandmeister Moldenhauer und ergänzt: "Durch einen Rauchmelder hätte das Leben der Familie gerettet werden können. Doch in Niedersachsen gibt es leider noch immer keine Pflicht, diese Geräte in Häuser und Wohnungen einzubauen."