Ausländer haben häufig Vorbehalte gegen deutsche Mediziner. Der Landkreis versucht nun, Ängste abzubauen.

Stade

Manchmal weiß Doris Waller nicht, ob sie tatsächlich das richtige Medikament verschrieben hat. Ob die Medizin überhaupt anschlagen kann. Denn einige Patienten versteht die Allgemeinmedizinerin einfach nicht. Wenn die kranken Menschen weder Deutsch noch Englisch sprechen, können sie nicht verständlich machen, unter welchen Beschwerden sie leiden. Sie nach Hause zu schicken, kommt für die Stader Hausärztin trotzdem nicht in Frage. Sie behandelt. "Dafür habe ich zu sehr ein Helfersyndrom." Erst später erfährt sie, ob es wirklich hilft.

Welche Hürden im Arbeitsalltag der Mediziner auftreten, wenn sie Migranten behandeln, ist Thema beim Stader Gesundheitsforum unter dem Motto "Wie kultursensibel ist unsere Gesundheitsversorgung?". Darin geht es unter anderem darum, dass etliche Migranten, etwa aus der Türkei oder Russland, ihre Schmerzen anders empfinden als deutsche Patienten. "Einige gehen sehr, sehr spät zum Arzt, weil sie kein Vertrauen haben", berichtet Waller. Einer ihrer Patientinnen wäre das fast zum Verhängnis geworden. Sie litt unter einer Gallenkolik. Die Krankheit war so weit fortgeschritten, dass sich die Galle bereits in den Bauchraum ergoss. "Es war knapp", sagt Waller.

Selbst wenn die Migranten fließend Deutsch sprechen oder jemanden mitbringen, der übersetzt, kommt das Definieren der Krankheit einem Lotteriespiel gleich. "Denn die Migranten äußern ihre Beschwerden anders als zum Beispiel Nordeuropäer", sagt Waller. "Sie sagen zum Beispiel, dass ihnen alles sehr weh tut. Und dann stellt sich heraus, dass es lediglich Kopfschmerzen sind." Vielfach, so Waller, sprechen Patienten zwar von einer Krankheit, leiden aber eigentlich unter Heimweh: "Dann hilft gar nichts."

Auch die Gesundheitsvorsorge sei für viele Migranten ein Fremdwort. "Bei Kindern, die im Schulalter aus dem Ausland nach Deutschland kommen, haben die üblichen Vorsorgeuntersuchungen und die Impfungen nicht stattgefunden."

Wie sollen die Ärzte nun die Hürden im Arbeitsalltag bewältigen? Waller gibt frank und frei zu: "Ich weiß es nicht."

Viele Praxen lösen das Problem, indem sie Migranten etwa als Arzthelfer beschäftigen oder sie zu solchen ausbilden. Auch Waller hat eine türkische Frau als Praktikantin mit in ihr Team aufgenommen.

Der Stader Landkreis setzt ebenfalls darauf, Migranten verstärkt im Gesundheitsnetz einzubinden. Deshalb wurde jetzt das Projekt "Gesundheit mit Migranten für Migranten", kurz "Mimi", aufgelegt. Es wird im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen und Gesundheit sowie des BKK Landesverbandes Niedersachsen-Bremen durchgeführt. Das ethno-medizinische Zentrum leitet das Projekt. Ziel ist, Migranten zu Gesundheitsmediatoren ausbilden. In 40 Stunden lernen die Kursusteilnehmer, wie das deutsche Gesundheitssystem aufgebaut ist, welche Angebote es im deutschen Gesundheitssystem gibt, wie Krankheiten verhindert werden können und was es heißt, gesund zu leben. Das Erlernte sollen die Migranten dann ihrerseits an ihre Landsleute in ihrer Muttersprache weitergeben.

"Solche Multiplikatoren werden in Zukunft immer wichtiger, da es immer mehr Migranten als Patienten geben wird", sagt Karina Holst, die als Referentin für Integration der Stadt Stade das Gesundheitsforum "Wie kultursensibel ist unsere Gesundheitsversorgung?" leiten wird. Schließlich bekämen die Migranten-Paare mehr Kinder als die deutschen. Mit der Veranstaltung will Holst die Menschen sensibler für kulturellen Unterschiede machen: "Wir diskriminieren einander, weil wir zu wenig voneinander wissen."