Wissenschaftler raten, Rücksicht auf den Biorhythmus zu nehmen. Im Landkreis Stade wird dafür allerdings keine Notwendigkeit gesehen.

Stade/Buxtehude

So früh ran an den Stoff wie die Schüler der Grund-, Haupt- und Realschule Oldendorf muss sonst niemand im Kreis Stade. Während ihre Leidensgenossen in Stade und Buxtehude erst ab acht Uhr die Schulbank drücken, läutet es in Oldendorf pünktlich um 7.10 Uhr zur ersten Stunde. Noch ärmer dran ist, wer sich um sechs Uhr aus dem Bett quälen muss, weil er mit dem Bus eine halbe Stunde fahren muss, etwa von Kraneburg nach Oldendorf.

Das ist nicht nur für Morgenmuffel ein Grausen. Schlafforscher haben herausgefunden: Wer schon um oder vor acht Uhr in der Schule sein muss, lernt schlechter. Wäre das auch ein Modell für den Landkreis Stade? Das Abendblatt fragte bei Verantwortlichen nach.

Der Mann, der Schüler- und Langschläferherzen höher schlagen lässt, heißt Jürgen Zulley. Der Schlafforscher der Universität Regensburg hält die Hand über den Wecker und plädiert dafür, den Unterrichtsstart auf neun Uhr zu verlegen. Angelsächsischen Studien und seinen eigenen Forschungen zufolge, verschiebt sich ab dem zwölften Lebensjahr der Biorhythmus nach hinten. US-Forscher fanden heraus, dass junge Leute zwischen 13 und 22 Jahren mehr Schlaf benötigen und die Morgen-Müdigkeit dieser Klientel eben nicht mit Faulheit gleichzusetzen ist. "Die Leistungsfähigkeit der Schüler um acht Uhr morgens ist so schlecht wie gegen Mitternacht", sagt Zulley. Da liegen Lehre und (geistige) Leere ziemlich dicht beieinander. Und durch Aristoteles und Analysis werden müde Schüler kaum munter. "Natürlich müsste die Stunde am Nachmittag wieder drangehängt werden", so Zulley. "Ebenso sollten Mittagspausen in ausreichender Länge eingehalten werden."

Wann der Unterricht startet, kann jede Schulkonferenz selbst entscheiden - "in enger Absprache mit dem Schulträger und der Landesschulbehörde", sagt Birgit Schmid von der Stader Außenstelle der Landesschulbehörde.

Doch aus der wissenschaftlichen Steilvorlage haben die Schulen bislang wenig gemacht. Schüler des Berliner John-Lennon-Gymnasiums wagten kürzlich einen Angriff auf die Acht-Uhr-Regelung. Doch die Initiative scheiterte, weil sich in der Schülerschaft keine Mehrheit fand. Die "Traditionalisten" fürchteten wohl um ihre wertvolle Freizeit.

Tatsächlich ist die zentrale Frage: Ist eine Stunde weniger in der Früh eine Stunde mehr am Nachmittag wert? Für den Vorsitzenden des Stader Stadtschülerrates, Hauke Edeler, ist ein weicherer Übergang in den Schulalltag längst überfällig. "Im Idealfall könnte man wie in Skandinavien zwischen drei Anfangs-Uhrzeiten wählen", meint er. "Wenn man so früh anfängt, ist man nachmittags ja total kaputt." Auch Christdemokraten wie der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger sind für einen späteren Start: Dadurch bliebe mehr Zeit für die Familie.

Doch die Meinungen an den Schulen gehen dazu weit auseinander. Auf der Camper Höhe steht das Thema nicht mal auf der Agenda. Und die Leiter von Ganztagsschulen, in denen mindestens bis 15.30 Uhr gebüffelt wird, sehen in dem späteren Beginn keinen Sinn. "Es mag richtig sein, dass ausgeschlafene Schüler besser lernen", sagt Dieter Offermann, stellvertretender Leiter des Athenaeums. "Aber wenn die Schule noch ein Stunde länger dauert und einige Schüler ohnehin bis zu einer dreiviertel Stunde im Bus nach Hause unterwegs sind - wo bleibt da die Freizeit".

Ähnlich sieht das auch Dr. Jutta Neemann, Leiterin des Vincent-Lübeck-Gymnasiums. Die Pennäler müssen erst um 8.10 Uhr zum Unterricht erscheinen - nach Ansicht der Schulleiterin schon viel zu spät. "Wir bedauern sehr, dass wir nicht noch früher anfangen können", sagt Neemann. Die Unterrichtsstunden reichten schon jetzt viel zu tief in den Nachmittag hinein. "Abgesehen davon: Um acht Uhr fangen auch viele Arbeitnehmer an." Auch Bernd Wilhelmi, Leiter der Hauptschule Hohenwedel, kann einer neuen Regelung nichts abgewinnen. "Da hätten die Lehrer kaum noch Zeit für Elterngespräche oder andere Projekte."

Immerhin hält Wolfgang Gutsfeld, stellvertretender Leiter des Buxtehuder Halepaghen-Gymnasiums (1500 Schüler), einen späteren Unterrichtsbeginn für eine gute Idee. Nur würden da seine Schüler kaum mitziehen. Nachdem das Gymnasium den Unterrichtsbeginn um fünf Minuten auf 7.55 Uhr vorverlegt hatte, um die drei Pausen um fünf bis zehn Minuten zu verlängern, ging ein Aufschrei durch die Schülerschaft. Grund: Nachmittags sollten sie zehn Minuten länger bleiben. "Da hinge im Falle eines Beginns um neun Uhr gleich eine ganze Stunde mehr dran", sagt Gutsfeld.

Zudem müsste eine Neuregelung mit anderen Schulen im Kreis und der KVG abgestimmt werden, damit die Schüler zeitig ihre Busse erwischen.

Skeptisch ist auch Stefan Moritz. "Was ist mit den berufstätigen Eltern", fragt der Vorsitzende des Kreiselternrates mit Blick auf deren knappes Zeitbudget. "Sollten berufstätige Eltern jetzt eine Stunde länger zuhause bleiben, um auf ihre Kinder aufzupassen. Ich denke, das ist nicht durchsetzbar."

Am Schulzentrum Oldendorf, wo die Schüler um 7.10 Uhr die Schulbücher aufklappen müssen, ist der frühe Unterrichtsbeginn "ein ganzes leidiges Thema", sagt Konrektor Ralph Bonz. Doch die im Lehrplan vorgesehenen Wochenstunden müssten eingehalten werden. "Was wäre die Alternative: Unterricht am Wochenende?" Seinen Schülern dürfte die Frage, ob der Unterricht um acht oder neun Uhr beginnen soll, ohnehin etwas befremdlich vorkommen. Für sie wäre schon ein Start um 8 Uhr ein Gewinn.