Im Abendblatt-Interview kündigen Jens Eggersglüß und Jan Kurzer neue Wege im Kampf gegen die Kriminalität in den Städten an.

Sie sind seit gut 100 Tagen im Dienst: Kriminaldirektor Jens Eggersglüß und Polizeirat Jan Kurzer. Eggersglüß trat die Nachfolge von Bernd Deutschmann als Leiter der Polizeiinspektion Stade an. Der 47-jährige Vater einer vierjährigen Tochter lebt in Lüneburg. Der 37-jährige Kurzer übernahm das Polizeikommissariat Buxtehude von Winfried Stöhr und ist in der Este-Stadt zuhause. Im Interview sprechen die Polizeichefs über die ersten 100 Tage in ihren neuen Ämtern.

Abendblatt:

Herr Kurzer, Herr Eggersglüß: Sie sind gut 100 Tage im Amt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Jan Kurzer:

Ich kannte durch meine Tätigkeit als Leiter "Einsatz" der Polizeiinspektion Stade die Gegebenheiten in Buxtehude bereits. In den ersten 100 Tagen habe ich mich vor allem um die Netzwerk-Pflege gekümmert, habe mich mit Verantwortlichen von Feuerwehr und THW auseinandergesetzt und habe auch am Runden Tisch der Stadt zum Thema Graffiti und Sachbeschädigung teilgenommen. Intern habe ich die Stelle einer Präventionsberaterin besetzt, die eng mit Stadtjugendamt und Weißer Ring zusammenarbeitet. Außerdem habe ich nach zwei Jahren den Posten des Leiter Einsatz- und Streifendienst mit Detlev Schlichting-Reinecke neu besetzt.

Jens Eggersglüß:

Ich bin in eine Polizeiinspektion gekommen, die sehr gut funktioniert. Eine große Familie, die mich herzlich aufgenommen hat, in der nicht viel verändert werden muss. Mein Bestreben in der ersten Zeit war, da ich in Lüneburg lebe, Land und Leute kennenzulernen und ein Gespür für die hiesigen Strukturen und Netzwerke zu bekommen. Diese Inspektion ist so gut - sie funktioniert mit, ohne, und trotz eines Leiters (lacht).

Abendblatt:

Was sind aus kriminalistischer Sicht die Hauptprobleme im Kreis?

Eggersglüß:

Wir nehmen die Kriminalitätsstudie, die in einzelnen Stadtteilen ein subjektives erhöhtes Bedrohungsgefühl ergeben hat, sehr ernst.

Kurzer:

Da haben wir in Buxtehude Glück: Solche Stadtteile scheint es dort nicht zu geben. Dafür aber Tageswohnungseinbrüche, Fahrraddiebstähle und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Gerade am Bahnhof ist die Kriminalität sehr hoch. Hier wollen wir verstärkt Präsenz und Flagge zeigen

Eggersglüß:

Wir werden bald schon Fahrradstreifen sowie verstärkt Kontaktbeamte einsetzen, die sich an Hotspots wie dem Penny-Markt in Hahle mit den Jugendlichen befassen werden. Wir wollen insgesamt noch mehr mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen und Menschen aufklären. Ein Effekt: Das Anzeigeverhalten der Bürger hat sich bereits geändert. Es werden immer mehr Straftaten zur Anzeige gebracht. Das hilft, das Dunkelfeld bei vielen Strafsachen zu erhellen. Das ist sehr positiv.

Abendblatt:

Die Frage ist doch: Erreichen Sie Ihre Zielgruppe überhaupt? Die Zahl der Widerstandstaten gegen Polizisten ist so hoch wie nie. Meist stecken alkoholisierte Jugendliche dahinter.

Eggersglüß:

Tatsächlich verzeichnen wir hier eine drastische Zunahme. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass den Beamten deutlich weniger Respekt entgegen gebracht wird. Die Hemmschwelle, auch gegen uniformierte Beamte Gewalt einzusetzen, ist deutlich gesunken. Das ist sehr bedauerlich. Aber eins ist klar: Ausnahmslos jede Widerstandstat wird angezeigt.

Abendblatt:

Und was halten Sie davon, Alkohol in der Öffentlichkeit zu verbieten, wie etwa in Neu Wulmstorf geplant?

Eggersglüß:

Das ist eine Schwarz-Weiß-Sicht auf ein grundsätzliches Problem: Alkohol ist in der Gesellschaft allgegenwärtig. Wie wollen sie das Trinken in der Öffentlichkeit verbieten? Ein ganzes Volksfest dichtmachen? Wer soll so eine Verordnung durchsetzen? Wir haben eine andere Strategie: Wir sprechen gezielt mit Veranstaltern größerer Feste, um hier einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, also zum Beispiel, dass ein Sturzbetrunkener an der Theke keinen Alkohol mehr erhält.

Abendblatt:

Herr Kurzer, Sie sind erst sechs Jahre bei der Polizei, ausgebildeter Jurist. Hat sie eine Karriere als Anwalt oder in der freien Wirtschaft nicht gereizt?

Kurzer:

Ich wusste recht früh, dass ich in die öffentliche Verwaltung gehen will. Die praktische Arbeit, die Nähe zum "wirklichen Leben", hat mich immer gereizt. Ich habe eine ordentliche Polizeiausbildung genossen, bin Streife gegangen - wie jeder andere auch. Hier funktioniert alles im Team. Das finde ich sehr gut und auch sehr aufregend.

Abendblatt:

Zur polizeilichen Arbeit: Die Aufklärungsquote der Fälle liegt bei gut 52 Prozent. Landesweit werden im Schnitt rund 58 Prozent der Fälle aufgeklärt. Warum ist die Quote niedriger?

Eggersglüß:

Seit zehn Jahren steigt die Quote. 2008 waren zahlreiche Kräfte unter anderem durch drei Mordfälle gebunden, die es in dieser Häufung im Landkreis normalerweise nicht gibt. Eine Mordkommission bindet bis zu 40 Beamte. Wenn dieses Jahr ruhiger wird als das vorherige, bin ich zuversichtlich, dass wir unsere Aufklärungsquote weiter steigern werden.

Kurzer:

Hinzu kommt, dass Wohnungseinbrüche, vor allem im Buxtehuder Raum ein Problem, schwer aufzuklären sind. Die Nähe zur Metropole Hamburg und die S-Bahn-Anbindung sorgen dafür, dass vermehrt Kriminelle in unsere Region drängen.

Abendblatt:

25 Verkehrstote im letzten Jahr, acht aktuell - welche Strategie verfolgen Sie in Sachen Verkehrsunfallgeschehen?

Eggersglüß:

Erfolgversprechend ist eine Mischung aus repressiven und präventiven Maßnahmen. Zum Beispiel: Mit einem Projekt wie "Schutzengel", das sich schon im Landkreis Soltau-Fallingbostel bewährt hat, schärfen wir das Bewusstsein, vor allem bei den Jüngeren. Schließlich sind von den sieben Verkehrstoten fünf in der Altersgruppe der Fahranfänger zwischen 18 und 24 Jahren. Zudem wollen wir den Kontrolldruck erhöhen: mehr Alkohol-, aber auch Drogenkontrollen. Auch im Erkennen von Drogenmissbrauch sind unsere Beamten inzwischen wesentlich besser geschult.

Abendblatt:

Angedacht war, dass Sie nach einem Jahr wieder auf ihre alten Posten zurückkehren. Deutschmann zurück nach Stade, Stöhr nach Buxtehude. Sind Stade und Buxtehude bloß Durchlauferhitzer für Ihre Karrieren?

Kurzer:

Auf keinen Fall. Bis zu meiner Pensionierung werde ich nicht das Polizeikommissariat Buxtehude leiten. Aber vier, fünf Jahre könnte ich mir durchaus vorstellen.

Eggersglüß:

Fest steht: Ich habe Spaß an meinem neuen Job. Ich will nicht ausschließen, noch länger die Polizeiinspektion Stade zu führen. Fragen Sie mich im Herbst noch mal.

Interview: Daniel Herder