Kitsch, Kunst oder Kultur? Die rotbemützten Dekorationsmännchen sind wohl von allem ein bisschen. Neben einer “Front zur Befreiung der Wichtel“ gibt es auch Menschen, die ihnen ein Zuhause bieten - wie Gisela Lemmermann in Stade.

Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister: Für manche verkörpern die Minimänner das deutsche Spießbürgertum schlechthin. Für andere sind sie die niedlichste Dekoration der Welt. Und um es vorweg zu nehmen - Gisela Lemmermann gehört zur zweiten Fraktion. Sie hat ein Herz für permanent grinsende Wichtel. Vielleicht ist es sogar tiefer sitzende Liebe. Denn die 65-Jährige nennt sich selbst "Zwergenmama". Und dass sie damit nicht übertreibt, zeigt ein Blick in ihren Vorgarten. Etwa 60 Mützenträger bereichern die Blumenlandschaft in Stade-Hohenwedel - ein echtes Zipfeltreffen.

"Kinder lieben meine Zwerge", erzählt die Rentnerin. Und während sie durch das Beet führt - vorbei an einer Mühle, einem kleinen Teich und farbenprächtigen Blüten - sagt sie Sätze wie: "Der hier ist mein Liebling!" Oder auch: "Da hinten steht die Sängergruppe. Ist die nicht niedlich?" Es zeigt ihre Verbundenheit mit den Wichten.

Vorbeigehende Kinder würden sogar "Hallo" zu den Zwergen sagen und gucken, ob es schon einen neuen gibt. Und dass diese Hoffnung nicht unbegründet ist, zeigt die Vielfalt im Reich der Gnome. Ob Miniatur-Sängergruppe, Angelwichtel oder rausgestreckte Zwergenzunge - der Gestaltungsspielraum im Zwergenland ist groß.

Wann Gisela Lemmermann den ersten kleinwüchsigen Zipfelmützenträger in ihren Vorgarten stellte, weiß sie nicht mehr so genau. Es muss irgendwann in den 70er-Jahren gewesen sein, kurz nachdem sie mit ihrem Mann Arno das Eigenheim bezogen hat. Woher ihre Liebe für die zumeist tönernen Figürchen kommt, weiß die "Zwergenmama" indes genau. "Das hat von meiner Mutter abgefärbt. Sie hat ihren Garten in Himmelpforten immer so schön gestaltet, irgendwann fing ich auch damit an." Die Begeisterung ist innerfamiliär übergeschwappt.

Seitdem sucht sie auf Flohmärkten oder in Gartencentern nach ausgefallenen Modellen. Gestaltungskriterium: "Er muss mir gefallen." Bisweilen bekommt sie die Minimännchen auch zum Geburtstag geschenkt. Ausschlaggebend für die Faszination Gartenzwerg sind für Gisela Lemmermann drei Faktoren. Erstens: die süßen Gesichter. Zweitens: das possierliche Antlitz. Und Drittens: das freundliche Gemüt der winzigen Gesellen.

Winzig sind die Strahlemänner aber nur zum Teil. 50 Zentimeter misst der stattlichste Zwerg im lemmermannschen Garten. Genau genommen, ist er dem Zwergenreich schon entwachsen. Trotzdem oder gerade deswegen ist dieser "Papazwerg" Gisela Lemmermanns Liebling.

Doch längst nicht alle Menschen teilen die Liebe zum Gartenzwerg. Im Gegenteil: Für manche ist er sogar eine Reizfigur. Zwar erfreute sich der Winzling bis in die 60er-Jahre großer Beliebtheit in deutschen Gärten, doch spätestens seit der 68er-Studentenbewegung gehörte er zum Establishment. Der Vorwurf: Der Gartenzwerg sei spießig. Kurz: grober Kitsch. Ihm haftete zunehmend ein Image an, mit dem immer weniger Menschen zu tun haben wollten. Zu allem Überfluss gründete sich in den 90er-Jahren die "Front zur Befreiung der Gartenzwerge". Eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe machte, die Wichtel aus den Vorgärten zu stehlen und im Wald, "ihrem natürlichen Lebensraum", wieder auszusetzen.

Auch Gisela Lemmermann hat schlechte Erfahrungen mit Zwergengegnern gesammelt. So wurde ihr erst kürzlich das Schneewittchen aus ihrer "Sieben-Zwerge-Gruppe" entwendet. Und es ist nicht schwer zu erraten, dass sie für derartige Vergehen an der Wichtelkultur kein Verständnis hat. Sie reagierte auf Zwergenart: Dort, wo früher Schneewittchen stand, steht nun ein Zwerg, der dem Dieb einen Vogel zeigt. Ein Wink mit dem Zwergenpfahl...

Aus historischer Sicht ist der Groll auf Zwerge ohnehin schwer nachvollziehbar. Denn bei seiner Erfindung galt er als letzter Deko-Schrei. Im 18. Jahrhundert ging der erste Gartenzwerg aus Skulpturen für nobele Residenzen und Gartenanlagen hervor. 1898 wurde er dann erstmals massenweise produziert, zwei thüringische Firmen stellten ihn auf der Leipziger Messe vor. Fortan trat der Zwerg seinen Siegeszug durch deutsche Gärten an. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte in Ton.

Um diese Tradition nicht zu brechen, gründete sich 1980 in Basel die Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge. Mittlerweile rekrutiert die Schweizer Vereinigung ihre Mitglieder von vier Kontinenten. Der Gartenzwerg ist demnach ein weltweites Phänomen, was unter anderem die Gartenzwergindustrie zum Umdenken animierte. In den 1990er Jahren modellierten die Manufakturen neue, einfallsreiche Gestalten - die nicht nur den Ansprüchen des deutschen Marktes genügten. Seitdem erlebt der Gartenzwerg eine Renaissance. Als Figur mit Messer im Rücken, als Exhibitionist, als Politiker oder gar als Zwerg mit erhobenem "Stinkefinger". Etwa 25 Millionen Minimänner stehen heute wieder in deutschen Gärten.

Und 60 davon haben auch in Gisela Lemmermann eine Liebhaberin gefunden. Das größte Geschenk sei für sie, wenn "Kinder ihre Freude daran haben". Zwergenkritikern begegnet sie tolerant: "Die müssen ja nicht hingucken." Und dennoch geht auch ihre Liebe zum Gartenzwerg nicht ins Grenzenlose. "Es dürfen nicht mehr viele dazu kommen, sonst wird es zu voll im Garten", sagt sie. Im Schatten der Zipfel sollen schließlich noch Blumen gedeihen.