Nicht nur für Jugendliche und Kinder: Familien sind eine neue Zielgruppe für Jugendherbergen. Doch die stellen Ansprüche an ihre Unterkunft.

In der Küche klappern die Blechschüsseln. Es riecht nach Hackbraten. Kinder kommen von einem Ausflug zurück und schwärmen johlend zu den Tischplatten in der Jugendherberge Handeloh aus. In den Jugendherbergen gibt es noch die lärmenden Schulklassen und auch die Duschen auf dem Gang. Doch die Häuser haben jetzt eine neue Zielgruppe für sich entdeckt: Familien. Nach Angaben des Deutschen Jugendherbergswerks buchten sie 2006 rund 170 000 Übernachtungen, im vergangenen Jahr waren es schon rund 200 000.

Auch die Betreiber der Umwelt-Jugendherberge in Handeloh, Marco Adameck, 50, und seine Frau Andrea Kieser, 43, registrieren, dass jedes Jahr drei bis fünf Prozent mehr Familien kommen. Längst gehören Babybetten, Flaschenwärmer, Wickelauflagen und Windeleimer zur Ausstattung. Das Ehepaar hat auch einen ganzen Stapel Spiele angeschafft und die Steckdosen kindersicher gemacht. "Das sind alles Kleinigkeiten. Aber die Eltern nehmen so etwas ganz genau wahr", sagt Herbergsmutter Andrea Kieser. Und weil so ziemlich jede Familie Dusche und WC auf dem Zimmer möchte, ist ein Architekt angerückt und hat den Umbau des Hauses zumindest auf dem Papier geplant. Nur die Finanzierung fehlt noch.

+++Jugendherbergen stellen sich auf Familien ein+++

Im Vergleich zur gehobeneren Hotellerie müssen Familien aber Abstriche beim Komfort machen. Statt Doppelbetten gibt es Doppelstockbetten. Allein baulich sind der Jugendherberge in Handeloh Grenzen gesetzt, daher können Marco Adameck und Andrea Kieser keine speziellen Familientrakte entwickeln. Das heißt: Meistens belegen Schul- und Freizeitgruppen die Zimmer. Nur an Feiertagen und an Tagen, an denen keine Gruppen gebucht haben, stehen die Chancen für Mütter und Väter mit Kindern gut, in der Jugendherberge unterzukommen.

Marco Adameck und Andrea Kieser versuchen, die Familien mit kindgerechten Pauschalpaketen zu locken. Deren Schwerpunkte liegen auf Natur und Umweltkunde. Da sich die Jugendherberge mit 163 Betten im Naturschutzpark Lüneburger Heide befindet, umgeben von Heide- und Waldlandschaft mit Bächen und Hochmooren, und zudem noch über ein sechs Hektar großes Naturgrundstück verfügt, ist das keine Überraschung.

Das Thema Natur passt aber auch wie maßgeschneidert auf die Betreiber. Die Umwelt ist ihre Leidenschaft. Der Archäologe und Geograf Marco Adameck ist in der Umweltbewegung groß geworden und hat den Bund für Umwelt und Naturschutz in Schleswig-Holstein mitgegründet. Die Geografin Andrea Kieser, die jahrelang in der Landschaftspflege und -planung gearbeitet hat, kennt sich in Bodenkunde und Botanik aus. "Wenn es um die Natur geht, können wir mit Herzblut dabei sein. Wir wollen ja nicht nur Eintrittskarten verkaufen", sagt Andrea Kieser.

+++Idee für Jugendherbergen vor 100 Jahren geboren+++

Und so bekommen die Familien beispielsweise Vogelkunde auf dem Silbertablett serviert: Das Pauschalpaket "Alle Vögel sind schon da" führt im Frühjahr zu den Kranichrast- und -brutstätten, durch Moore, die Lüneburger Heide, Wälder und an die Elbe, damit die Eltern mit ihren Kindern Vögel vom Turm, Teich oder Schiff aus beobachten können. Im Herbst können Familien in einer Pferdekutsche auf Tour gehen, mit Schafen und Schäfer durch die Heide wandern und nachts Fledermäuse aufspüren.

Auch für die Mütter und Väter, die nicht die Pauschalangebote nutzen, können die Betreiber der Jugendherberge aus einem touristischen Fundus schöpfen und jeden Tag neue Freizeittipps aus dem Hut zaubern. 2004, als Marco Adameck und Andrea Kieser die Jugendherberge übernommen hatten, befand sich die Region noch im Dornröschenschlaf. Jetzt boomt der Tourismus in der Region.

Was sind das für Familien, die Urlaub in der Jugendherberge Handeloh machen? "Das Jugendherbergswerk ist ja gegründet worden, damit Kinder sozial schwacher Familien kostengünstig Urlaub machen können", sagt Adameck. Kostengünstig ist das Angebot der Handeloher Jugendherberge für Familien. Eine Übernachtung kostet 17,60 Euro pro Person inklusive Frühstücksbuffet. Aber Familien mit knappem Geldbeutel nutzen es nicht. Es sind die Bildungsbürger-Familien, die es in die Jugendherberge zieht. Das habe mit dem Image der Jugendherberge zu tun, sind Marco Adameck und Andrea Kieser überzeugt. Ein gut situierter Akademiker, der mit seiner Familie in einer Jugendherberge Urlaub macht, ist ein Naturliebhaber, ein Abenteurer, der Hotels satt hat.

+++Szene-Unterkunft zieht ins historische Klockmannhaus+++

Die Familien haben sich zu einem starken Standbein in der Jugendherberge Handeloh entpuppt. Im vergangenen Jahr, das Marco Adameck als durchschnittlich bezeichnet, haben Familien rund 2500 Übernachtungen bezahlt. Genauso viele Übernachtungen haben jeweils Freizeitgruppen freier Träger und Firmen für Seminare und Tagungen gebucht. Die Buchungszahl der Schul- und Kindergartengruppen liegt bei rund 5000 Übernachtungen.

In der Praxis bedeutet das einen Spagat für das Ehepaar, um den Gästen, angefangen bei Kleinkindern aus dem Kindergarten über Schüler und Familien bis zu Besuchern im Rentenalter, gerecht zu werden.

Vom Kasernenhofton, Eintopf und Pfefferminztee haben sich schon längst so ziemlich alle Jugendherbergen verabschiedet. Marco Adameck und Andrea Kieser ist auch klar, dass die Kunden mehr Service wollen und nicht mehr gewillt sind, selbst zu putzen. Aber auch da gibt es Grenzen in einer Jugendherberge. "Service ja, aber keine Bedienung", sagt Andrea Kieser.

Nach wie vor müssen die Schulklassen einen Tischdienst aus ihren Reihen bestimmen. Auch den üblichen Herbergsjargon haben Andrea Kieser und Marco Adameck beibehalten. Sie sind Herbergsmutter und Herbergsvater, nicht Herbergsleiter, um den Gästen ein Stück Heimat zu vermitteln. An diesen Traditionen wollen die Herbergseltern auch weiterhin festhalten, zugleich aber neue Programme entwickeln. Kieser: "Nur so können Jugendherbergen weiter mit der Zeit gehen und ihren Platz in der Tourismusbranche behaupten."