Ob bei Schulen, Polizisten-Gehältern oder Sozialleistungen - Schleswig-Holstein spart und verliert Anschluss an die Hansestadt.

Kiel/Hamburg. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) malen die norddeutsche Zusammenarbeit gern in rosiger Farbe. Demnach ist die Kooperation so weit gediehen, dass die Menschen hier wie dort die Landesgrenze kaum noch spüren. Richtig ist das Gegenteil: Weil Schleswig-Holstein bei Schulen, Polizei und vielen anderen Aufgaben eisern spart und Hamburg kräftig investiert, klaffen die Lebensbedingungen immer weiter auseinander.

"Entwicklungen in unterschiedliche Richtungen sind für den norddeutschen Wirtschaftsraum kontraproduktiv", warnt der Präsident der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein, Uli Wachholtz, im Gespräch mit dem Abendblatt. Am deutlichsten ist die Kluft zwischen der Metropole und dem Umland im Bildungsbereich. Wer die Schulpolitik beider Länder vergleiche, so Schleswig-Holsteins GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer, komme immer wieder zu demselben Ergebnis: "Hamburg, du hast es besser."

Das beginnt bei den Lehrern. Schleswig-Holstein sparte zum angelaufenen Schuljahr 300 Pädagogen ein und begründete die Streichaktion mit der sinkenden Schülerzahl (minus 4000). Hamburg stellte zeitgleich 300 Lehrer zusätzlich ein, zum einen, weil die Zahl der Schüler stieg (plus 2500), zum anderen, um die Unterrichtssituation vor allem in den Grundschulen zu verbessern. "Wir haben in kleinere Klassen investiert", sagt der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht.

Nutznießer sind die Grundschüler. Sie lernen in Klassen mit höchstens 23 Schülern, in Problemschulen mit maximal 19 Schülern. Diese Zielgröße, so Albrecht, werde teils sogar unterschritten. Eine Höchstgrenze gibt es auch in Schleswig-Holstein. Der Richtwert liegt für alle Schularten bei 29 Schülern. Schulminister Ekkehard Klug (FDP) betont, dass diese Höchstgrenze in Grundschulen oft unterschritten wird und im Landesschnitt nur 21,5 Schüler in einer Klasse lernen. Der günstige statistische Wert erklärt sich aber auch daraus, dass es in Schleswig-Holstein noch viele Dorfschulen mit teils sehr kleinen Klassen gibt. Umso größer sind die Klassen anderswo.

+++ Arm und Reich an der Waterkant +++

"Eltern und Kinder, die in Schleswig-Holstein im richtigen Ort wohnen, haben Glück, wer nicht, hat eben Pech", bilanziert Gewerkschaftsfunktionär Schauer. Das gleiche Prinzip gilt für die Betreuung der Schüler am Nachmittag. Hamburg will bis 2014 alle Grundschulen auf Ganztagsbetrieb (8 bis 16 Uhr) umstellen und im Anschluss eine kostenpflichtige Betreuung bis 18 Uhr anbieten. Schleswig-Holstein kann sich Vergleichbares nicht leisten. Mehr als die Hälfte der 432 Grundschulen machen mittags Schluss. Bei den restlichen handelt es sich meist um "offene" Ganztagsschulen mit Angeboten an drei Nachmittagen in der Woche.

Für eine Schuloffensive wie in Hamburg fehlt das Geld. "Eines der ärmsten Bundesländer kann sich nicht am meisten leisten", erklärt Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) dem Abendblatt. Hamburg habe eine höhere Wirtschaftskraft, Schleswig-Holstein einen größeren Spardruck. Gemeint ist die Schuldenbremse. Sie verpflichtet Kiel, das strukturelle Defizit im Jahreshaushalt von 1,3 Milliarden Euro (2010) bis 2020 vollständig abzubauen. Im nächsten Jahr will die CDU/FDP-Koalition weitere 300 Lehrerjobs streichen, bis zum Ende des Jahrzehntes nochmals gut 3000 Stellen und damit sogar mehr als durch den Schülerrückgang rechnerisch verzichtbar wären. Selbst ein Regierungswechsel im Mai 2012 dürfte daran kaum etwas ändern. Die SPD will bis 2020 zwar "nur" etwa 1500 Lehrerstellen kappen, hat bisher aber offen gelassen, wo stattdessen gespart werden soll.

Damit ist klar, dass die Landes- immer stärker zur Bildungsgrenze wird. Denn Hamburg will auch in den nächsten Jahren zusätzlich Lehrer einstellen. Ähnlich ist die Lage bei den Hochschulen. Hamburg leistet sich mit mehr als 75 000 Studenten nicht nur mehr Hochschulplätze als das größere Schleswig-Holstein (gut 50 000 Studenten), sondern beschäftigt auch mehr Personal je Studienplatz. In der Metropole wird der akademische Nachwuchs also besser betreut als in der Provinz.

Besonders eifrig hat Schleswig-Holstein im öffentlichen Dienst gespart. Hier soll bis 2020 nicht nur jede zehnte der gut 50 000 Stellen im Landesdienst wegfallen. Gekürzt wird auch bei den Bezügen selbst. Beamte erhalten weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld, sondern lediglich je Kind 400 Euro brutto im Jahr. Gestutzt wurden auch einige Privilegien der Polizei. Die Beamten können künftig erst mit 62 in Pension gehen. In Hamburg dürfen die Polizisten im Vollzugsdienst ihren Dienst mit 60 quittieren. Aber auch in der Hansestadt sollen jährlich 250 Stellen in der Verwaltung wegfallen.

"Generell kann man sagen, dass die Polizei in Hamburg deutlich besser bezahlt wird als in Schleswig-Holstein", sagt der Kieler Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei, Karl-Hermann Rehr, und erinnert an einen weiteren und gravierenden Unterschied. Schleswig-Holstein hat seinen teuren Plan, bei der Polizei eine "zweigeteilte Laufbahn" (nur noch höherer und gehobener Dienst) einzurichten, längst storniert und heuert weiter Beamte für den "mittleren Dienst" an. Sie kosten weniger und stellen nach Angaben des Innenministeriums derzeit 39 Prozent der gesamten Ordnungsmacht. In Hamburg sind laut Innenbehörde nur 22 Prozent der Polizisten im "Mittleren Dienst". Dadurch wird für Beamte aus Schleswig-Holstein ein Wechsel in die Metropole immer attraktiver. "Durch das Bezahlungsgefälle registrieren wir vermehrt Versetzungswünsche", bestätigt Rehr. Denselben Trend gibt es laut GEW auch bei Lehrern.

Im Sozial- und Gesundheitsbereich zeichnet sich eine ähnliche Schieflage ab. Beispiel Blindengeld: In Schleswig-Holstein erhalten sehbehinderte Menschen nach der jüngsten Sparaktion nur noch eine Landeshilfe von 200 Euro im Monat. Hamburg zahlt mehr als das Doppelte, 453 Euro im Monat. Auch bei vielen Hilfsangeboten von der Familienbildungsstätte über die Suchtberatung bis zur Schuldnerhilfe fällt Schleswig-Holstein immer weiter hinter Hamburg zurück, weil Kiel die Zuschüsse kürzt. Augenfällig sind die Unterschiede bei den großen Uni-Kliniken, dem UKSH in Kiel und Lübeck und dem UKE in Hamburg. Beide Einrichtungen bieten zwar Spitzenmedizin, das größere UKSH aber in teils maroden Gebäuden, in denen es noch Vier-Bett-Zimmer gibt. Der Investitionsbedarf, bis zu eine Milliarde Euro, soll ab 2014 durch ein Teilprivatisierungsmodell erfüllt werden. Das UKE hat vor zwei Jahren einen Neubau bezogen. Standard sind moderne Zwei-Bett-Zimmer.

Finanzminister Wiegard betont indes, dass Hamburg seine Wohltaten teils über Kredite finanziert. "Die Butscher lernen zwar in kleinen Klassen, müssen das später aber alles bezahlen."