1992 flüchtete Bubakar Maigah aus Niger und beantragte Asyl in Deutschland. 1994 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag ab. Seit 1995 lebt der heute 63-Jährige als Ausreisepflichtiger in einer Unterkunft in Langeln. Weil er keine Papiere besitzt, darf er nicht ausreisen. Seit 18 Jahren will Bubakar Maigah nach Hause.

Wer auf der B 4 von Hamburg Richtung Kiel fährt, passiert kurz hinter Bilsen einen kleinen Ort namens Hoffnung. Etwa zwei Kilometer weiter, auf der linken Seite, wohnt Bubakar Maigah. Ein winziges Zimmer in einer Unterkunft für Asylsuchende und Obdachlose ist sein Zuhause. Seit 18 Jahren. Wer Bubakar Maigah besuchen möchte, muss an seine Fensterscheibe klopfen. Die Türklingel ist kaputt.

Sekunden nach dem Klopfzeichen erscheint an diesem Morgen ein Mann mit dunkler Hautfarbe und angegrautem schwarzem Haar im Türrahmen. Er lächelt. Er trägt eine verwaschene Anzughose, ein weiß-blau gestreiftes Hemd und tritt auf Flipflops vor die Haustüre. „Guten Tag“, sagt er. „Willkommen. Sagen Sie Herr Bubakar zu mir.“ Dann bietet er dem Gast eine von Sonne, Wind und Wetter über viele Jahre ausgeblichene Sitzbank an und nimmt daneben an einem klapperigen Tisch Platz. Darauf steht ein Aschenbecher voller Zigarettenkippen. Herr Bubakar schiebt ihn von sich. „Ich rauche nicht“, sagt er. Dann beginnt er, eine Melodie vor sich hin zu summen.

Im Februar 1992 kam Bubakar Maigah vom Volke der Hausa aus Niger, einem Staat in Westafrika, nach Deutschland. Damals war er 42 Jahre alt. Er sei geflüchtet, sagt er. Es habe Bürgerkrieg geherrscht in seiner Heimat. 1990 bis 1995 revoltierten in Niger das Volk der Tuareg gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung durch die Regierung. Er habe bis zum Ausbruch des Konflikts in seiner Heimat als Lehrer für Englisch, Mathematik, Geschichte und Geografie eine Dorfschule geleitet. Nachdem er in den Wirren des Aufstands seinen Job verloren hatte und um sein Leben fürchtete, entschloss er sich, in Deutschland Asyl zu beantragen. Zurück ließ er seine Eltern, drei Schwestern und zwei Brüder. „Wir hatten damals kein Telefon, keinen Fernseher und auch kein Internet“, sagt Bubakar Maigah in umständlichem, aber klarem Deutsch. „Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört.

Bubakar Maigah landete in Hamburg und beantragte am 27. Februar 1992 Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Die Ausländerbehörde des Kreises Pinneberg, die seitdem für Bubakar Maigah zuständig ist, brachte den Asylsuchenden nach Zwischenstopps in Itzehoe und Kiel in Hemdingen unter. Er arbeitete zu Beginn seines Aufenthaltes als Hilfskraft in verschiedenen Baumschulen im Kreis Pinneberg. „Das war gut“, sagt er. „Ich war mit vielen Menschen zusammen. Die Arbeit war gut.“ Im November 1994 wurde der Antrag auf Asyl abgelehnt, am 26. Juni 1995 war die Ablehnung rechtskräftig.

Die Nigrische Botschaft wollte 1995 die Staatsangehörigkeit nicht bestätige

„An schönen Tagen“, sagt Herr Bubakar. „Da gehe ich spazieren. Über die Felder. Manchmal gehe ich auch nach Bilsen.“ Auf dem etwa fünf Kilometer langen Fußmarsch kommt er durch Hoffnung. „Ja“, sagt er. „Hoffnung. Das ist gut. Ich habe Hoffnung.“ Einmal im Monat leistet sich Herr Bubakar von seinen 147,31 Euro, die er vom Sozialamt monatlich bar ausgezahlt bekommt, eine Fahrkarte nach Hamburg. „Ich hoffe, am Bahnhof Menschen aus meiner Heimat zu treffen, die mir erzählen können, wie es zu Hause ist.“ Er habe Afrikaner getroffen, auch Menschen aus Niger, aber niemals jemanden aus seinem Geburtsort Toda. Und so konnte ihm auch nie jemand erzählen, ob seine Eltern noch leben, was aus seinen Geschwistern geworden ist.

Nahezu zeitgleich mit der Ablehnung seines Antrags auf Asyl war der Tuaregkonflikt, der 1990 zu den kriegerischen Unruhen im Niger geführt hatte, mit einem Friedensvertrag zwischen Regierung und Tuaregstämmen vorläufig beigelegt worden. Im Juni 1995 beschloss Bubakar Maigah daher, nach Hause zurückzukehren. Das Problem: Er hatte keine Papiere, die ihn hätten als nigrischen Staatsbürger ausweisen können. Es kommt immer wieder vor, dass Asylsuchende auf der Flucht ihre Papiere zerstören, weil sie meinen, so größere Chancen zu haben. „Ich habe sie verloren“, sagt Bubakar Maigah. Vielleicht sind sie auch gestohlen worden. Ich weiß es nicht. “

Die Nigrische Botschaft in Berlin wollte 1995 seine Staatsangehörigkeit nicht bestätigen. Und das tut sie auch heute nicht. „Da kann jeder kommen und behaupten, er komme aus Niger“, sagt eine Botschaftsmitarbeiterin.

Wenn es keine Papiere über die Identität eines Menschen gebe, könne auch die Botschaft nichts machen.

„Wenn Sie keine Ausweispapiere besitzen, können sie weder ein Land verlassen noch ein anderes Land betreten“, sagt Marc Trampe, Sprecher des Kreises Pinneberg, dessen Ausländerbehörde den Fall Bubakar Maigah verwaltet.

Seit 1995 lebt Bubakar Maigah in Zimmer 4, Zimmer 2, Zimmer 10 – je nachdem, welchen Raum er zur Verfügung gestellt bekommt – in einem zur Unterkunft für Asylsuchende und Obdachlose umgebauten ehemaligen Landgasthof. Das Gebäude, in dem Bubakar Maigah seit 18 Jahren lebt, befindet sich in der Obhut des Amtes Rantzau, dem die Gemeinde Langeln verwalterisch angehört. Zuständig für die Liegenschaft ist Alexander Harms vom Ordnungsamt des Amtes. Der Verwaltungsmitarbeiter kennt Herrn Bubakar seit er vor zwei Jahren den Job übernahm. „Ein freundlicher, ruhiger Mensch“, sagt Harms. Eigentlich kümmere er sich nur ums Gebäude, nicht um die Menschen, die darin lebten. „Aber das zu trennen, fällt mir schwer“, sagt Harms. Er fahre regelmäßig zur Unterkunft, schaue nach dem Rechten, in seiner Freizeit biete er den derzeit 23 Asylsuchenden und drei Obdachlosen im Haus in Langeln seine Hilfe bei Behördengängen und bei Fragen zum Alltag in Deutschland an. „Herr Bubakar wirkt sehr zufrieden dort“, sagt er.

Bubakar Maigah, heute 63 Jahre alt, strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. „Mir geht es gut hier“, sagt er. „Aber ich wäre lieber zu Hause.“ Vielleicht will er deshalb nichts an seinem Leben in Deutschland ändern. Er hätte die Möglichkeit, das Heim zu verlassen und in einer Mietwohnung zu leben. „Aber dann wäre er allein“, sagt Harms. In der Unterkunft habe er Gesellschaft.

Jeden Monat bekommt Bubakar Maigah eine Duldung für vier Wochen

Außerdem hat Bubakar Maigah nie aufgehört zu hoffen, in seine Heimat zurückkehren zu dürfen. Arbeiten darf Bubakar Maigah in Deutschland nicht. Das verbietet sein Aufenthaltsstatus. Seit der Ablehnung seines Asylantrages ist der Mann ausreisepflichtig. Weil er aber mangels Papieren nicht ausreisen kann, ist er geduldet. Jeden Monat muss sich Bubakar Maigah bei der Ausländerbehörde des Kreises Pinneberg melden und bekommt dann eine weitere Duldung für vier Wochen. Seit 18 Jahren. Das regelmäßige Vorsprechen hat er nicht immer durchgehalten. Aus einem Protokoll der Ausländerbehörde, das dem Abendblatt vorliegt, geht hervor, dass er diverse Male als „abgetaucht“ galt. Nach ihm wurde gefahndet, er wurde festgenommen. Weil er sechs Vorführungstermine nicht wahrgenommen hatte, wurde er im Juni 2007 einmal in Vorführungshaft genommen. Seit dem verhält er sich offenbar vorschriftsmäßig.

Bubakar Maigah hat viel Zeit. Die nutzt er auch, um Briefe an die nigrische Botschaft in Berlin zu schreiben. Darin bittet er darum, dass für ihn ein Pass ausgestellt wird, damit er nach Niger zurückreisen kann. Er schreibt in Englisch, handschriftlich auf kariertes Papier. Für die Ausländerbehörde fertigt er jedes Mal eine Abschrift an. Die Abschriften liegen dort auch vor, bestätigt Marc Trampe. Eine Ablehnung auf Anerkennung der nigrischen Staatsbürgerschaft gab es von der Botschaft zuletzt im Jahr 2007. Es kam die Vermutung auf, dass Bubakar nicht aus Niger sondern aus Ghana stammt. „Nein“, sagt er. „Ich wurde am 2. Februar 1950 in Toda in Niger geboren.“ Er sei in Ghana zur Schule gegangen. „Mein Onkel hat dort gelebt und die Schule war dort besser. Aber ich wurde nicht in Ghana geboren.“

Arbeiten darf Bubakar Maigah nicht, aber untätig will er nicht sein. Und so bekocht er seine Mitbewohner in der Unterkunft, die immer nur für einen Zeitraum dort mit ihm leben, regelmäßig. Am liebsten tischt er ihnen afrikanische Speisen auf. Dann unternimmt er eine Tageswanderung zum Supermarkt in Hemdingen und kauft dort von seinen monatlich 147,31 Euro die Zutaten ein. Sein Lieblingsessen sei Reis mit Hühnchen. „Das kostet nicht viel.“

Der Mann aus Niger liest viel. „Zeitungen, Bücher, was ich finde“, sagt er. Auch gern in deutscher Sprache, „weil ich mich nur selten auf Deutsch unterhalten kann.“ Vor vielen Jahren habe er einen Deutschkursus besucht. In der Unterkunft werde meist Englisch gesprochen. Die Bewohner kommen aus Afghanistan, Iran, Irak und sprechen kein Deutsch. Gerne würde sich Bubakar Maigah auch mal in seiner Muttersprache unterhalten, aber Hausa – das ist die Handelssprache in West-Zentral-Afrika – spricht hier niemand.

Bubakar Maigah hat sein Leben auf den Alltag in der Unterkunft in Langeln eingerichtet. Er stellt keine Ansprüche, verhält sich ruhig, er ist geduldig. Vielleicht sind genau diese Charaktereigenschaften und diese Verhaltensweisen sein Problem. Wäre er laut, ginge er auf die Straße, um zu protestieren, kettete er sich vor der Kreisverwaltung fest, würden die Menschen aufmerksam werden und erfahren, dass es in Langeln einen Mann gibt, der in einem behördlichen Vakuum lebt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig. Mit der Ablehnung des Antrages hat dieses Amt seinen Job erledigt. Das Amt Rantzau ist für das Gebäude zuständig, in dem er wohnt. Die Ausländerbehörde bearbeitet den Geduldeten nach bürokratischen Richtlinien. Für den Menschen Bubakar Maigah fühlt sich niemand verantwortlich. „Die Migrationsverbände sind die richtigen Ansprechpartner“, sagt Marc Trampe von der Kreisverwaltung. Dazu müsste Bubakar Maigah wissen, dass es Migrationsverbände gibt und wo er sie findet. Den Mann, der noch nie an einem Computer gesessen hat, der kein Telefon besitzt, der per Hand auf kariertem Papier Bittbriefe an seine Botschaft schreibt, müsste jemand an die Hand nehmen.

Eine Hoffnung gibt es für den Mann aus Niger. Im Sinne des Staatenlosenüberkeinkommens der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 könnte Bubakar Maigah als Staatenloser anerkannt werden. Staatenloser ist demnach eine Person, „die kein Staat auf Grund seines Rechts als Staatsangehöriger ansieht“. Die Vertragsstaaten stellen den Staatenlosen, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten. Wer als Staatenloser anerkannt wird, erhält Papiere und eine Arbeitserlaubnis. „Um als Staatenloser anerkannt zu werden, muss Herr Bubakar bei uns einen Antrag stellen“, sagt Marc Trampe von der Kreisverwaltung. „Wir können das nicht für ihn tun. Aber wir wären ihm dabei behilflich.“

Bubakar Maigah ist von seiner Sitzbank aufgestanden. Seine graue verwaschene Anzughose aus der Kleiderkammer ist zu weit. Sie rutscht und so muss er sie, während er mit seinen Flipflops über den Hof vor der Unterkunft geht, immer wieder hochziehen. In einem Ständer stehen fünf Fahrräder. Die hat das Amt Rantzaus den Bewohnern zur Verfügung gestellt. „Ich würde gerne Fahrrad fahren“, sagt Herr Bubakar. „Aber alle Räder haben einen Platten.“ Er würde ein Fahrrad reparieren. Dazu braucht er Flickzeug und Werkzeug. Das kostet Geld, das er nicht hat. Also geht er weiter zu Fuß durchs Leben.

„Das Wetter ist gut. Ich werde heute Nachmittag nach Bilsen gehen. Da war ich schon länger nicht mehr.“ Auf dem Weg dorthin wird er wieder durch den Ortsteil Hoffnung kommen. Direkt an der B4 liegt dann auch noch der Gasthof „Zur Hoffnung“, in den er wohl niemals einkehren wird. Beim Abschied steht Herr Bubakar vor der Haustüre. Mit der einen Hand hält er die rutschende Hose fest, mit der anderen winkt der dem Gast hinterher.