Der Chef der jüdischen Gemeinde Pinneberg ist von Kölner Urteil tief enttäuscht. Arzt rät zu Eingriffen möglichst früh nach der Geburt.

Kreis Pinneberg. Ein typischer Altbau in Hamburg-Altona. Hier im ersten Stock hat Dr. Sebastian Isik seine Praxis. An der Rezeption sitzt eine junge Frau mit Kopftuch, die freundlich die Patienten begrüßt. Isik ist der Sohn türkischer Gastarbeiter und Muslim. Sein Studium finanzierte er sich selbst, wie er erzählt. Vor 23 Jahren machte er sich dann selbstständig. Sein Spezialgebiet: Beschneidungen. Viele Juden und Muslime, vor allem auch aus dem Kreis Pinneberg, kommen zu ihm. Denn die Pinneberger Regio-Kliniken führen keine aus religiösen Gründen gewünschte Beschneidungen durch. Sie verweisen an die niedergelassenen Ärzte, zum Beispiel an Sebastian Isik.

Derzeit ist es außergewöhnlich ruhig in seinen Praxisräumen mit den alten Holzdielenboden. Das liegt nicht nur an der Ferienzeit, sondern vor allem an einem Urteil, das das Kölner Landgericht im Juni fällte. Das Gericht stufte die Beschneidung von Jungen als Körperverletzung ein. Isik könnte sich somit strafbar machen, wenn er seiner Arbeit wie bisher nachgeht. Deshalb lehnt Isik solche Behandlungen derzeit ab, bis Rechtssicherheit besteht.

Gerade für Juden ist das ein großes Problem. Denn acht Tage nach der Geburt, so gebietet es ihnen ihre Religion, muss ein Junge beschnitten werden. Es gilt als Zeichen des Eintritts in die jüdische Gemeinde und Symbol des Bundes mit Gott, wie Wolfgang Seibert von der jüdischen Gemeinde in Pinneberg erklärt. Seit zehn Jahren steht er der Gemeinde vor, die 256 Mitglieder zählt. Den Mann plagen derzeit vele Sorgen: Nach dem Anschlag in Bulgarien am Mittwoch wurde die Sicherheitsstufe für jüdische Gemeinden in Deutschland gerade wieder erhöht. Vielleicht nimmt der 65-Jährige deshalb das Kölner Urteil fast schon gelassen zur Kenntnis. Von Wut und Ärger keine Spur. Aber Seibert ist enttäuscht. "Es gibt Momente, in denen ich mich für Deutschland schäme", sagt er. "Nicht mal die Nazis haben so etwas gemacht. Sie haben gegen Beschneidungen gehetzt, aber sie nie verboten."

Sowohl Seibert als auch Dr. Sebastian Isik sind sich sicher, dass Juden und Muslime einen anderen Weg finden, ihre Kinder trotzdem beschneiden zu lassen. Ärzte und Kliniken wie das Jüdische Krankenhaus in Berlin wiegeln derzeit ab. Die Eingriffe finden trotzdem statt, glaubt Seibert. In irgendwelchen Hinterzimmern, möglicherweise nicht einmal von Fachkräften durchgeführt.

"Die Beschneidung ist kein einfacher Eingriff. Da kommt nicht nur ein Stück Haut weg", erklärt Isik. Der Arzt hat jahrelang seine Methode verfeinert, damit die Säuglinge keine Schmerzen haben. Er rät muslimischen Eltern, die aufgrund ihrer Religion nicht an das Acht-Tage-Gebot gebunden sind, immer dringend dazu, die Beschneidung früh machen zu lassen. Dann sei das Schmerzempfinden dann noch nicht so ausgeprägt.

Ohne das nötige Wissen und die Erfahrung hält Sebasian Isik die Beschneidung nur für eins: für viel zu gefährlich.

In Deutschland ist die Beschneidung nicht explizit gesetzlich geregelt. Das soll sich im Herbst ändern. Der Bundestag will sich mit dem Thema befassen. Nach den Sommerferien plant auch Seibert eine Informationsveranstaltung in den Räumen der jüdischen Gemeinde. Dr. Sebastian Isik hat er schon eingeladen. Wahrscheinlich werden auch ein Rabbiner und ein muslimischer Gelehrter dabei sein.

Weltweit haben sich nach Schätzungen zwischen 25 bis 33 Prozent der Bevölkerung die männliche Vorhaut teilweise oder vollständig entfernen lassen.

Die Gründe sind nicht nur religiöser, sondern auch medizinischer Art. Während die Befürworter die Beschneidung auch hygienisch begründen, weisen die Gegner vor allem auf das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit hin.