Schlechte Bezahlung und Bürokratie schreckt Nachwuchs ab. Wim Jansen aus Uetersen bangt um seinen Berufsstand

Uetersen. Wim Jansen liebt seinen Job. Jeden Tag kann er Menschen helfen, sie von Schmerzen befreien, beobachten, wie sie sich dank der Behandlungen wieder besser bewegen und leben können. „Das ist mein Traumberuf“, sagt der Physiotherapeut aus Uetersen, der in den Niederlanden aufgewachsen ist. Seinem Sohn rät er dringend davon ab, diesen Job zu ergreifen. Ein Traumberuf, den er nicht empfehlen kann: Wie passt das zusammen?

„Mir persönlich geht es gut“, sagt Jansen. Der 55-Jährige betreibt mit seinem Kollegen Erik Leemkuil seit 1986 ein Physiotherapie-Zentrum. Mit zwölf Mitarbeitern zähle es zu den größten Anlaufstellen in der Region. Dank der Größe sind die Öffnungszeiten lang, das Angebot umfangreich und die Auslastung und Wirtschaftlichkeit gut, so Jansen. Er rechnet vor, dass in seiner Praxis ein Therapeut auf sieben Quadratmeter kommt.

Der Beruf, der für ihn durch diese Bedingungen noch traumhaft bleibt, verwandelt sich für viele seiner Kollegen in einen Albtraum. Das Problem: Der Verwaltungsaufwand und die Anforderungen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Löhne nicht. Der Deutsche Verband der Physiotherapeuten (ZVK) schlägt Alarm. In einer Erklärung heißt es: „Aufgrund der unzureichenden Vergütung sind zahlreiche Praxen in ihrer Existenz bedroht.“

Die Raummiete, die Personalkosten für eine Kraft am Empfang, für Fortbildungen und Geräte stünden einer Entlohnung durch die Krankenkassen von 15 Euro für eine 15- bis 25-minütige Behandlung entgegen. Betrachte man den Stundenlohn, erhielten ausgebildete Fachkräfte in kleinen Praxen in ländlichen Regionen unterm Strich weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Die Zahl der Physiotherapeuten, die sich Kassenpatienten deshalb einfach nicht mehr leisten können oder wollen, steigt laut ZVK. Sie geben ihre kassenärztliche Zulassung zurück und spezialisieren sich auf Privatpatienten oder diejenigen, die für die Leistung extra zahlen wollen.

Jansen ist sich sicher, dass dieser Schritt den Betroffenen schwer fällt. „Wer diesen Beruf ergreift, hat ein Helfersyndrom“, meint er. Der Entschluss, einem großen Teil der möglichen Patienten diese Hilfe zu verweigern, fassten seine Kollegen nur aufgrund einer Notsituation. Jansen schätzt, dass etwa 85 Prozent seiner Patienten gesetzlich krankenversichert sind. Nur Privatpatienten zu versorgen, komme für ihn nicht infrage. Ähnlich sieht das Andrea Dröge. Sie hatte sich mit ihrer Kollegin Silke Wulf mit einer eigenen Praxis 2014 selbstständig gemacht.

Die Praxis ist klein und obwohl sie in Pinneberg und nicht auf dem Land liegt, sind die Verdienstmöglichkeiten laut Dröge sehr begrenzt. „Die bittere Wahrheit ist, dass eine Physiotherapeutin mit dem Lohn nicht einmal die Miete zahlen kann“, sagt Dröge. Sie selbst bereut den Schritt in die Selbstständigkeit und ihre Berufswahl nicht, allerdings ist die Familie dank des Einkommens ihres Mannes auf ihr Gehalt allein auch nicht angewiesen.

„Das junge Leute das nicht mehr machen möchten, kann ich nachvollziehen“, sagt Dröge, die zuvor sechs Jahren als Angestellte in Pinneberg arbeitete. „Das ist ein toller Beruf. Leider erfährt er nicht die Wertschätzung, die er verdient hätte.“

Obwohl Jansen länger im Geschäft ist und eine größere Praxis betreibt, plagen auch ihn Sorgen. Ihm fehlen Mitarbeiter – obwohl er bereits überdurchschnittlich zahle, um im Wettbewerb mit Hamburger Praxen zu bestehen. Klassische Stellenausschreibungen hat er aufgegeben. Um neue Kollegen zu finden, setzt er auf Abwerbung durch Kontakte. Damit macht sich Jansen, der sich auch als Vorstandsmitglied im Bund Vereinter Therapeuten in Schleswig-Holstein und Hamburg engagiert, nicht gerade Freunde. Trotzdem hat er derzeit zwei bis drei Stellen zu besetzen. Vor allem den Nachwuchs scheue die Ausbildungskosten in Höhe von rund 10.000 Euro sowie den später im Verhältnis schlechten Verdienst.

Zu wenig Nachwuchs bei einem wachsendem Bedarf aufgrund des demografischen Wandels – für Jansen gibt es nur eine Möglichkeit, um den Untergang seiner Zunft zu verhindern: eine deutlich bessere Entlohnung. 38,7 Prozent mehr Gehalt fordert der Deutsche Verband der Physiotherapeuten. Der zweistellige Wert erinnert an Forderungen aus der Luftfahrtbranche, ist aber laut Jansen mehr als gerechtfertigt und orientiert sich am Verdienst von angestellten Physiotherapeuten im öffentlichen Dienst.

Seit Jahren ist laut ZVK die Vergütung nicht angemessen gestiegen. Ein Problem, das teilweise hausgemacht ist. Denn die Physiotherapeuten treten nicht geschlossen auf, es gibt mehrere Verbände, die nicht gerade mit harten Bandagen verhandeln. „Wir sind zu lieb“, räumt Jansen ein. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Um mehr Druck zu machen und auch die Politik ins Boot zu holen, wurde eine Unterschriftenaktion gestartet. Etwa 50.000 Physiotherapeuten haben bislang für bessere Arbeitsbedingungen unterzeichnet. Bis zum 1.Februar läuft die Aktion noch.