Reiter wehren sich gegen Umstrukturierungen. Lebenshilfe-Projekt im Minus. Therapeutisches Reiten vor dem Aus?

Appen . Ein Fiasko, skandalöse Zustände und die Gefahr, die Gemeinnützigkeit zu verlieren - der umfangreiche offene Brief von Förderern und Einstellern des integrativen Reitsportzentrums hat es in sich. Auf dem Appener Schäferhof kocht es. Die Stimmung der betroffenen Mitarbeiter mit und ohne Handicap ist am Boden. Sie bangen um ihre Jobs. Kürzlich wurde eine Mitarbeiterversammlung einberufen, auf der Lebenshilfe-Geschäftsführer Michael Behrens berichtete, dass es der gemeinnützigen Betreiber-GmbH, dem Lebenshilfewerk, finanziell schlecht gehe. Eine Umsteuerung sei dringend erforderlich. Er kündigte Umstrukturierungen an. Zwei Tage später gingen an 19 Boxenmieter Kündigungen raus. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie es in dem Schreiben heißt, sollen die Reiter den Stallgang räumen. Vier Wochen, bis Ende April, haben sie Zeit, um Platz für besser betuchte Reiter zu machen.

Unter den vor die Stalltür Gesetzten ist auch Christin Wolmeyer. Sie ist eine Einstellerin der ersten Stunde. Bevor der besondere Stallbetrieb, in dem bis zu 39 Menschen mit Behinderung arbeiten können, 2009 seine Türen erstmals öffnete, hatte sie sich bereits eine Box gesichert. Sie unterstützt das Projekt. Das plötzliche Kündigungsschreiben erwischte sie völlig unvorbereitet. Man bot ihr eine teurere Box an. "Dann zahl ich mehr für mein Pferd als für meine Wohnung, die ich mir zu zweit teile", sagt Wolmeyer.

Tiefer in die Tasche greifen soll auch Petra Heidorn. Seit 23 Jahren bietet die Holmerin therapeutisches Reiten an. Sie ist Vorreiterin auf dem Gebiet und hat sich über die Grenzen Pinnebergs einen Namen gemacht. Zwei Jahre lang warb die Lebenshilfe Pinneberg um sie, wollte sie unbedingt beim Projekt im Boot haben. Dafür bekam sie die Boxen für ihre sieben Therapiepferde, auf denen auch viele Kinder aus den Lebenshilfe-Kitas jede Woche sitzen, etwas günstiger. Auch damit soll jetzt Schluss sein. Sie soll denselben Preis wie die anderen zahlen. Im Vier-Augen-Gespäch teilte ihr Behrens kürzlich mit, dass er pro Box 100 Euro mehr haben wolle. "Das ist doch Wahnsinn. Das kann ich nicht bezahlen", sagt Heidorn. Für sie ist klar, wenn es soweit kommt, gibt sie auf. "Ich habe derzeit nicht die Kraft mir einen anderen Stall zu suchen, wieder von vorn anzufangen."

Behrens bestätigte am Freitag auf Abendblatt-Nachfrage die angestrebten Boxenpreiserhöhungen, die besonders Petra Heidorn betreffen. "Wir arbeiten derzeit an dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Wir müssen etwas tun, um nicht in eine Notlage zu kommen." Die Aufregung im Reitstall kann er nicht nachvollziehen. "Ich habe doch nichts anderes getan, als einige Boxen neu zu vermieten." Er spricht von vielen falschen Behauptungen, die derzeit kursieren. So würde man sich mit Petra Heidorn im Dialog befinden. Die wiederum hat das Gefühl, dass Behrens nicht hinter ihr und der Idee des Integrativen Reitsportzentrums stehe, das einst sein Vorgänger Peter Schaumann anschob. Sie sagt: "Er sieht nicht den Menschen nur die Zahlen." Das weist Behrens von sich: "Das ist falsch. Bei allen Veränderung stehen gerade die Menschen mit Behinderung im Vordergrund." Man wolle ihre Arbeitsplätze sichern.

Therapeutisches Reiten und Integratives Reitsportzentrum, Petra Heidorn und der Schäferhof: Das gehört für die mindestens zwei Dutzend Unterstützer des offenen Briefes auf jeden Fall zusammen. Sie wollen nicht kampflos hinnehmen, dass das einzigartige Projekt zu einer normalen, kommerziellen Reitanlage verkommt, wie sie schreiben. Und sie fürchten, dass die Mitarbeiter mit Behinderung am Ende in dem geräumten Stallgang mit besser zahlenden Kunden gar nicht erwünscht sind. "Einem Leistungssportler ist vielleicht gar nicht bewusst, dass das hier nicht mit einem normalen Betrieb zu vergleichen ist. Da läuft auch mal etwas falsch, da steht ein Pferd auch mal nicht in seiner Box", erklärt Einsteller Axel Feist. Katja Wachholz ergänzt: "Ich bin gehbehindert und nur mit meinen Pferden hier, weil ich hier nicht schief angesehen werden. Ich bin erschüttert darüber, was derzeit passiert."

Deshalb gehen die Reiter in die Offensive, drängen auf eine Diskussion und gemeinsame Lösung von Einstellern und Lebenshilfeführung statt Entscheidungen von oben. Besonders prangern die Reiter dabei die Informationspolitik des Trägers an. In ihrem Brief sprechen sie von einem respektlosen und rücksichtlosen Umgang mit den Reitern, aber auch mit Mitarbeitern und Betreuten, denen laut Abendblatt-Informationen verboten wurde, über die anstehenden Umstrukturierungen zu sprechen.

"In den Präambeln des Mietvertrages, den alle unterzeichnen müssen, ist zu lesen, dass von uns ein respektvoller Umgang mit den behinderten Menschen erwartet wird. Das wird mit Füßen getreten", kritisiert Reiterin Karin Kuhl, und Heike Nowatzky-Gennis ergänzt: "Das soll doch eine hochsoziale Einrichtung sein." Während einige kämpfen, machen sich andere schon davon. Fredeke Strauß hat gekündigt. Sie geht mit vier Pferden. "Der Schäferhof wird nicht mehr sein, was er einmal war. Er wird ein Turnierstall." Was aus dem Stall wird, welche Umstrukturierungen geplant sind, darüber will Behrens bei einer Einstellerversammlung Ende April informieren. Von seinem Geschäftspartner Rainer Adomat bekommt er Rückendeckung. Der Vorstandschef der Stiftung Hamburger Arbeiter-Kolonie, der das Gelände gehört und es an die Lebenshilfe verpachtet, hält fest: "Dies ist ein besonderer Ort für Menschen mit Behinderung und das soll so bleiben."