Rellingen hat Stefan Rasch hinter sich gelassen. Jetzt macht er in Halstenbek die Kirchenmusik und begeistert seine Gemeinde.

Halstenbek. Statt Bach-Kantaten zu spielen, könnte Stefan Rasch heute auch in einem Chemielabor tüfteln. Statt in Halstenbek die Register der Erlöserkirchen-Orgel zu ziehen, wäre er vielleicht als Textilingenieur in Leverkusen zu Hause. Denn das war der ursprüngliche Berufsplan des heute 36 Jahre alten Kirchenmusikers, der ab Mitte Januar 2013 Nachfolger von Kantorin Monica Lundbeck werden wird.

Realschulabschluss, Lehre in der elterlichen Textilreinigung in Winsen/ Luhe, mehrere fachliche Auszeichnungen, Fachoberschule, schließlich das Studium der Textilchemie - so hatte der Plan ausgesehen. Kirchenmusik hatte immer eine Rolle gespielt. Kirchenchor, Blockflötenkreis, Klavier- und Orgelunterricht, Rockmusik und Bigband-Sound waren fester Bestandteil seiner Kindheit und Jugend. Schon als Teenager sprang Rasch auf der Orgelbank ein, begleitete Gottesdienste. "Aber das war eigentlich vor allem, um nebenher ein bisschen Geld zu verdienen", sagt Rasch.

Doch dann kam der 18. Februar 1996. Der damals 20jährige Fachoberschüler war unterwegs zu einem Gottesdienst. Orgeln, wie so oft. Statt in der Kirche landete er allerdings im Krankenhaus. In einer Biegung war er von der spiegelglatten Landstraße abgekommen. Gestauchtes Sprunggelenk, Streckverband. "Vier Wochen lag ich im Krankenhaus", sagt Rasch. "Da hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken, was ich mit meinem Leben wirklich anfangen wollte." Die Kirchenmusik gewann das Rennen.

2005 hatte er nach Studien in Herford und Bremen das A-Diplom in der Tasche und einen ersten Vollzeitjob als Kantor für Popularmusik in Fulda.

Bereut hat er den Spurwechsel nie, im Gegenteil: "Mein Beruf vereint so vieles miteinander: das Einzelkämpfertum am Instrument, die Chorarbeit, die kirchlichen Aspekte. Diese Vielseitigkeit fasziniert mich am meisten."

Wer ihn bei der Probenarbeit mit den Halstenbeker Chören, Kammerchor und Kantorei, "Kirchenmäusen", "Halstenbreakern" und "aChoir", auf der Orgelbank, am Dirigentenpult oder im Gospelgewand erlebt, glaubt ihm das sofort. Rasch lebt die Musik, besonders die Arbeit mit Chören. "Das ist mir besonders wichtig, weil es Arbeit mit anderen ist und nicht Arbeit nur an mir selbst. Ein Chor ist ein sehr vielseitiger Klangkörper aus ganz vielen Individuen und Individualisten, das ist eine tolle, intensive Arbeit."

Auch stilistisch ist Rasch, der im Februar 2012 einen Gospelchor gründete, breit aufgestellt. "Wenn ich mich zwischen Klassik und Pop entscheiden müsste, würde ich mich wahrscheinlich erschießen." Beispielsweise gebe es rhythmisch viele Parallelen zwischen Musik der Renaissance und modernem Pop. "Es gibt eins nicht ohne das andere. Das befruchtet sich gegenseitig."

Mit Begeisterung leitet der überzeugte Christ seit 2000 die Kindersingefreizeit auf Schloss Ascheberg am Plöner See, schrieb dafür das Musical "S(P)aulus - wie vom Blitz getroffen". "Die Gemeinschaft mit den Kindern, mit ihrer Naivität und Direktheit ist total super", sagt Rasch. "Nach dieser Woche bin ich jedes Mal fix und fertig, aber glücklich." Umso mehr freut der Musiker sich auf sein erstes eigenes Kind, das seine Frau Ende März erwartet.

Halstenbek ist seine zweite Kantor-Station im Kreis Pinneberg. Von 2008 bis 2010 war Rasch Kantor in der Nachbargemeinde Rellingen. Querelen mit der Gemeinde verdunkelten das Gastspiel, vor allem der lange Schatten seines charismatischen Vorgängers Wolfgang Zilcher machte dem jungen Kantor die Arbeit schwer. "Viele erwarteten dort von mir, dass ich genau wie Herr Zilcher arbeite", sagt Rasch. "Ich denke aber, dass es die Entscheidung des Nachfolgers ist, ob und wie er seinen Vorgänger einbindet." In Halstenbek laufe das anders. Vorgängerin Lundbeck, mit 42 Amtsjahren noch länger im Job als Kollege Zilcher, versuche eher, ihm Wege zu ebnen.

In Rellingen dagegen habe er nach so mancher Chorprobe seinen Frust an der heimischen Spielkonsole abreagiert, bekennt Rasch. Trotzdem habe er die Zeit in Rellingen nie bereut, nicht nur, weil er dort seine heutige Frau kennengelernt hat. "Wir hatten tolle Momente. Auf die Aufführungen der 'Schöpfung' und des Weihnachtsoratoriums mit der Rellinger Kantorei bin ich bis heute stolz."

In Halstenbek wehe ein völlig anderer Wind, die Gemeinde sei offener, das Pastorenteam anders. "Hier hat es für mich von Anfang an gepasst." Der Anfang, das war die Anfrage der Gemeinde Ende 2011, als Vertretung der Organistin Hye-Yeon Ko in der Arche Noah im Ortsteil Krupunder einzuspringen. Wenige Wochen darauf übernahm Rasch zusätzlich kommissarisch den Job von Monica Lundbeck in der Erlöserkirche. Denn deren ursprünglich ausgewählte Nachfolgerin hatte ihre Gemeinde nach wenigen Tagen im Amt unerwartet im Stich gelassen. Rasch sprang ein - und überzeugte mit seiner Arbeit den Kirchengemeinderat. Statt die Stelle neu auszuschreiben, nahm die Kirche ihn direkt unter Vertrag. Ab 13. Januar, wenn Organistin Ko aus dem Erziehungsurlaub zurückkehrt, ist er offiziell Kantor der Erlöserkirche.

Mit der gut besuchten ersten "Nacht der Kirchenmusik" hat Rasch in Halstenbek eine Duftmarke gesetzt. Für 2013 plant er eine zweite Auflage. Außerdem steht im Februar ein Pop- und Gospelkonzert des Jugendchors an, und mit dem Kammerchor möchte er entweder im November ein Requiem aufführen - oder im Dezember einen Teil des Weihnachtsoratoriums. Ganz oben auf Raschs Konzert-Wunschliste stehen Monteverdis "Marienvesper", Bachs h-Moll-Messe und Brahms' "Deutsches Requiem". Aber angesichts des dafür benötigten Orchesters und Chors werde die Erlöserkirche wohl leider zu klein sein, bedauert Rasch.