Gewerkschafter warnen vor Altersarmut. Arbeitgeber verweisen auf Mindestlohn und Kundenwunsch

Kreis Pinneberg. Im Kreis Pinneberg boomt der Billiglohn. Wie zwei aktuelle Studien zeigen, verdient hier fast jeder vierte Vollzeitmitarbeiter weniger als 1890 Euro brutto im Monat, was als Grenze zum Niedriglohn gilt. Diese Zahlen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund jetzt veröffentlicht hat, werden von den Daten der Hans-Böckler-Stiftung bestätigt. Demnach beruht der Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Pinneberg um 4334 Jobs auf 80.857 Arbeitsplätze seit 2003 fast ausschließlich auf Teilzeit-, Mini- und befristeten Jobs. Teilzeitarbeit ist im Kreis Pinneberg seitdem um ein Viertel gestiegen. Leiharbeit hat sich verdoppelt.

"Der Anteil der schlecht bezahlten Arbeitsverhältnisse nimmt überhand", sagt Ralf Schwittay von der Gewerkschaft Verdi in Elmshorn. Wenn dies vor fünf Jahren vor allem für den Einzelhandel, Friseure und Callcenter galt, habe diese Entwicklung jetzt fast alle Dienstleistungsbranchen erreicht. Insbesondere manche Pflegekräfte müssten für Stundenlöhne von drei bis vier Euro arbeiten. "Immer mehr Menschen können von einem Job nicht leben", sagt Schwittay. Dies wirke sich auf das Ehrenamt aus, wo vielerorts aktive Menschen fehlten. "Das Ehrenamt muss man sich leisten können", warnt Schwittay. Zudem droht den Billiglöhnern, in die Altersarmut abzurutschen. Dies habe auch jüngst Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit ihrer Forderung nach einer staatlichen Zusatzrente bestätigt. "Das haben wir schon lange gesagt. Aber wenn das von konservativer Seite kommt, wird das wohl ernster genommen."

Der überproportional hohe Anteil an Niedriglohnjobs im Norden sei auch ein Grund für den Fachkräftemangel, glaubt Günter Beling vom DGB-Nord. "Die Arbeitnehmer stimmen mit den Füßen ab." Soll heißen, sie suchten sich verstärkt Arbeit im Süden, wo sie besser bezahlt würden. Heinrich Ritscher vom Unternehmensverband kontert, dass die Gewerkschaften die Tarifverträge mit den Arbeitgebern aushandelten. "Dass Bayern mehr zahlt, hat mit den besseren Standortbedingungen dort zu tun", sagt Paul Raab von der IHK Kiel.

Im Kreistag wurde jüngst heftig um den sozialen Arbeitsmarkt gestritten. SPD und Grüne forderten wieder mehr Fördergelder, um Langzeitarbeitslose in Jobs zu bringen. Die Bundesregierung hat diese seit 2010 nahezu halbiert. CDU und FDP lehnten dies ab.

Matthias Kiefer, der in der Pinneberger Filiale von Beyersdorf 200 Gebäudereiniger beschäftigt, verweist auf die gesetzlichen Mindestlöhne in seiner Branche (8,82 Euro für eine Putzfrau, 11,80 Euro für Fenstereiniger). "Ob das ausreicht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sei dahingestellt", sagt Kiefer. "Aber wer über diesen Tariflohn zahlt, hat de facto keine Chance auf dem Markt." Claudia Mohr von der Kreishandwerkerschaft betont, dass auch im Friseurhandwerk ein Mindestlohn von zurzeit 7,51 (ab 2013: 7,80 Euro) gelte, der bei 169 Stunden im Monat mit 1270 Euro deutlich unterhalb der Niedriglohngrenze bleibe. "Das hat zwei Seiten. Die Kunden wollen nicht mehr zahlen und lassen sich lieber eine Dauerwelle für zehn Euro machen. Das hat auch mit der Geiz-ist-geil-Mentalität zu tun."