Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Rettungsassistenten, der in Einsätzen seine fachlichen Kompetenzen überschritten haben soll.

Kreis Pinneberg. Es ist ein schmaler Grat. Menschen sind in Not, medizinische Hilfe ist notwendig. Freiwillige oder professionelle Helfer müssen häufig von einem Augenblick zum anderen entscheiden, was sie tun. Aber unter welchen Voraussetzungen dürfen zum Beispiel Rettungsassistenten Medikamente verabreichen oder Spritzen setzen? Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Rettungsassistenten des Norderstedter KBA, der in mehreren Fällen möglicherweise seine Kompetenzen überschritten hat. Einsatzkräfte des Vereins Krankentransporte, Behinderten- und Altenhilfe (KBA) sind regelmäßig auch im Kreis Pinneberg aktiv, vor allem im Bereich Quickborn, Bönningstedt, Hasloh.

Gegen den Rettungsassistenten liegt eine anonyme Anzeige vor. Aber bereits vorher hatte der KBA begonnen, die Einsatzprotokolle des 37 Jahre alten Rettungsassistenten zu sichten, weil er von einem weiteren Besatzungsmitglied des Rettungswagens beim Verabreichen von Medikamenten beobachtet worden war. Bis zum Abschluss der behördlichen Ermittlungen wurde er von seinen Diensten entbunden.

Der KBA spielt mit offenen Karten. "Es ist richtig, dass das überprüft wird. Der Bürger darf verlangen, dass alles in Ordnung ist. Schließlich ist die Gesundheit das höchste Gut", sagt Michael Vollmer, KBA-Geschäftsführer im Gespräch mit der Pinneberger Redaktion des Abendblatts. Der betroffene Rettungsassistent sei kompetent und routiniert. "Generell aber gilt: Medikamentengabe ist Arztsache", so Vollmer.

Ein klassische Unfallsituation: Vor Ort wird festgestellt, dass eine Person schwer verletzt ist, der Notarztwagen ist noch nicht am Unfallort eingetroffen. Sofort macht sich die Besatzung des Rettungswagens an die Arbeit, um den Verletzten zu versorgen. Wie weit dürfen die Mitarbeiter des Rettungsdienstes gehen? Im Normalfall bereiten sie alles vor, damit der Notarzt medizinisch eingreifen kann. Sie schätzen den Grad der Verletzung ein, machen einen sogenannten Bodycheck, prüfen, ob der Verletzte ansprechbar ist.

"Eine Schmerzmittelgabe erfolgt generell nur durch den Notarzt", sagt Michael Reis, Geschäftsführer der Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH). Das gelte auch für so genannte invasive Maßnahmen. Das kann ein Venenzugang sein oder das Einführen eines Beatmungsgerätes in die Luftröhre, das kann aber auch ein Luftröhrenschnitt oder die Drainage des Brustkorbs sein.

In lebensbedrohlichen Fällen seien die Rettungsassistenten jedoch gezwungen, invasive Maßnahmen zu ergreifen. Reis: "Aktuell stellt das eine rechtliche Grauzone dar. Unsere Mitarbeiter befinden sich täglich im Spagat zwischen unterlassener Hilfeleistung und einer Straftat."

Die RKiSH ist für den Rettungsdienst im Kreis Pinneberg zuständig, absolviert dort täglich etwa 100 Einsätze. Das Unternehmen beschäftigt bewusst nur Rettungsassistenten und keine Sanitäter, die über geringere Fachkenntnisse verfügen (siehe Info-Kasten). "Wir sind auch Vorreiter in Schleswig-Holstein, was die Ausbildung zum Rettungsassistenten betrifft", sagt Reis. Statt der sonst üblichen zwei Jahren, wovon die Azubis ein Jahr selbst finanzieren mussten, wurde die Lehrzeit bei der RKiSH auf drei Jahre verlängert, inklusive kompletter Vergütung. Die Rettungsassistenten lernen in dieser Zeit auch eine Schmerzmittelgabe sowie die Einleitung invasiver Maßnahmen. Reis: "Wir haben die Sachen an Bord der Fahrzeuge, unsere Mitarbeiter können das auch."

Für Uwe Kuhlmann, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Pinneberg, ist wichtig, dass Ersthelfer überhaupt reagieren. "Wir alle, ob Feuerwehrmann oder normaler Autofahrer, müssen im Rahmen unserer Möglichkeiten Erste Hilfe leisten", sagt Kuhlmann. "Selbst, wenn wir dabei Fehler machen, werden wir dafür nicht belangt. Wer aber nicht reagiert und gar nichts tut, der landet wegen unterlassener Hilfeleistung sicher vor dem Kadi."

Für besonders schwere Fälle gibt es die Notfallkompetenz, die von der Bundesärztekammer vorgesehen ist, wenn der Patient oder Verletzte sofort lebenswichtige Maßnahmen benötigt. Der Rettungsassistent darf dann zum Beispiel Adrenalin einsetzen, um den Kreislauf zu stabilisieren, er darf intubieren, wenn ein "rechtfertigender Notstand" nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch vorliegt.

"Das ist ein Drahtseilakt für den Rettungsassistenten", sagt Sebastian Kubo, Abteilungsleiter Rettungsdienst beim KBA. Nach seinen Angaben hatte der Aushilfsrettungsassistent, gegen den ermittelt wird, genügend Erfahrung, sogar mehr, als die meisten anderen Assistenten beim KBA. Er hat bei der Bundeswehr, für die er hauptberuflich als Rettungsassistent tätig ist, die höchst mögliche Qualifizierungsstufe erreicht. Er gehört zu einer Hubschrauberbesatzung. Für den KBA ist er seit einigen Jahren etwa zweimal im Monat nebenbei tätig.

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein bestätigt, dass die Gabe von Medikamenten durch Rettungsassistenten grundsätzlich unzulässig ist. "Im Notfall kann ein Verstoß gegen dieses Verbot als Notstandshandlung jedoch gerechtfertigt sein", sagt der stellvertretende Ministeriumssprecher, Frank Strutz-Pindor.

Der Gesetzgeber hat die Problematik erkannt, das Bundeskabinett eine Gesetzesänderung beschlossen. Mit dem Gesetz wird auch das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen geregelt. Es tritt voraussichtlich zum Januar 2014 in Kraft.