Fälle von sexuellen Übergriffen nehmen während der Sommerferien zu, warnt der Verein Wendepunkt. Oft nähern sich die Täter vorsichtig an.

Elmshorn. Während sich andere auf die faule Haut legen, will Sina (Name geändert) in den Sommerferien lieber arbeiten. Die 16-Jährige muss unbedingt ihr Taschengeld aufbessern. Sie hat so einige Kaufwünsche, die sie sich mit ihrem Lohn erfüllen möchte. Umso mehr freut sich die Schülerin, dass sie einen der begehrten Ferienjobs ergattern konnte. Der Job macht ihr Spaß. Sie kellnert. Der Chef ist ausgesprochen nett. Man freundet sich an. Doch mit der Zeit hat Sina auf dem Weg zur Arbeit immer häufiger ein flaues Gefühl im Bauch. War es wirklich ein Versehen, dass der Chef ihre Brust streifte? Muss er sie immer in den Arm nehmen? Warum fasste er ihr an den Po?

Grenzüberschreitungen und sexuelle Übergriffe wie diese kennt Dirk Jacobsen zu genüge. Der Diplom-Psychologe, der die Beratungsstelle des Wendepunkts in Elmshorn leitet, schlägt Alarm. "Immer wieder haben wir Fälle, bei denen es zu solchen Übergriffen kommt. Zur Ferienzeit ist das Thema besonders brisant", berichtet Jacobsen. Und er weiß nur von denjenigen, die auch die Hilfe der Beratungsstelle in Anspruch nehmen.

+++ Ein Gesetz regelt, wann junge Leute arbeiten dürfen +++

Das sind laut Jacobsen viel zu wenige: "Aufgrund unserer Erfahrungen vermuten wir, dass gerade in diesem Bereich die Dunkelziffer sehr hoch ist." Viele Fälle würden nicht bekannt, weil sich die Opfer gegenüber ihren Eltern oder Freunden nicht offenbarten. Von den 200 Hilfesuchenden, die pro Jahr die Beratungsstellen des Wendepunkts anlaufen, beträfen etwa fünf Prozent sexuelle Belästigung oder Missbrauch während des Ferienjobs.

"Die Hemmschwelle, zu uns zu kommen, ist hoch. Zum einen ist das immer noch ein Tabu-Thema, zum anderen üben die Täter Druck aus", erklärt der Psychologe. "Denn die Täter gehen systematisch und strategisch vor", warnt Jacobsen. Besorgt beobachte er die Jobanzeigen zur Ferienzeit, in denen gezielt nach Schülerinnen und Schülern gesucht wird.

+++ "Finger Weg!": Sich selbstbewusst wehren +++

"Meist sind die Jobs ganz gut bezahlt. Die Täter nähern sich vorsichtig, schenken ihnen Anerkennung und machen den Schülern Geschenke. Sie knüpfen eine immer engere Beziehung. Plötzlich kommt die Wendung und die Opfer fühlen sich schuldig, weil sie es erst mochten", erklärt er.

Jacobsen berichtet von Betroffenen, die sich beim Wendepunkt telefonisch meldeten und vor bestimmten Unternehmern warnten, Anzeige wollten sie aber nicht erstatten. Zur Beratungsstelle für sexuellen Missbrauch, die vom Kreis Pinneberg finanziert wird, kommen und anonym über die Ereignisse sprechen wollten sie oft nicht. "So sind uns die Hände gebunden", sagt der Psychologe. Aber er kennt auch andere, die sich wehren. Ein Fall landete vor Gericht, ein Urteil steht noch aus.

Was Eltern und Schüler machen können, um sich zu schützen? Der Experte rät Schülern, die einen Ferienjob antreten wollen, zu Bewerbungsgesprächen möglichst jemanden mitzunehmen. Wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt, sei es wichtig, sich sofort abzugrenzen und nein zu sagen. Betroffene sollten sich unbedingt jemandem anvertrauen. Versehen oder Absicht: Wer unsicher sei, solle seinem Bauchgefühl vertrauen, so Jacobsen.

Betroffenen Eltern rät er, ihren Kindern Glauben zu schenken und ihre Sorgen nicht abzutun. Da viele Opfer Angst vor der Reaktion ihrer Eltern hätten, weist Jacobsen darauf hin, dass das, was man in der Beratung anvertraue, auch nur dort bleibe. Die Beratungsstelle in Elmshorn befindet sich an der Gärtnerstraße 10-14, Telefon 04121/47 57 30. Außenstellen gibt es in Quickborn und Schenefeld.