Trotz Fortschritten sind Beruf und Familie immer noch schwierig zu kombinieren. Nun bereiten auch die Kosten Probleme. Gespräch mit Familien.

Pinneberg. Doris Ochterbeck sitzt mit 50 Jahren wieder in der Vorlesung. Das letzte Mal hat die sechsfache Mutter mit 25 einem Universitätssaal besucht, damals studierte sie Medizin. Kurz vor dem zweiten Staatsexamen, also kurz vor dem Abschluss, kam der Abbruch. "Es war eine bewusste Entscheidung für meine Familie", sagt sie heute. Erst jetzt, 25 Jahre später, wo die Kinder groß sind, kommt für die Pinnebergerin die Karriere.

Ochterbeck studiert seit diesem Jahr Gesundheitswissenschaft in Hamburg. Jetzt hat sie Zeit. Jetzt will sie beweisen, dass man auch später noch Erfolg haben kann - und vor allem, dass es nicht den einen Weg gibt.

Für viele Familien gibt es allerdings nur diesen einen, nämlich Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen. "Es geht auch gar nicht anders. Die finanziellen und gesellschaftlichen Veränderungen verlangen es einfach", sagte Alexandra Waßong, ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Kreiselternvertretung Pinneberg für Krippen, Kindergarten und Hort.

Und so sind sie Nachbarn von Ochterbeck das Gegenstück eines veränderten Familienselbstverständnisses. Annette Roth ist Zahnärztin und will ihre beiden Töchter Lilith, 4, und Lotta, 2, neben dem Beruf groß ziehen. "Ich glaube, das kann man schaffen. Bei uns klappt es jedenfalls wunderbar", sagt sie, gibt ihren beiden Töchtern einen Kuss und verabschiedet sich im Kindergarten. "Ich werde sie erst morgen wieder sehen." Auch ihr Mann, André Bajorat, bringt die Töchter schon mal zum Kindergarten, ist freiberuflicher Unternehmensberater, und ist immer dann zu Stelle, wenn seine Frau nicht kann. Wenn Roth heute Abend nach Hause kommt, gegen 21.30 Uhr, wird er die Kinder ins Bett gebracht haben. "Und doch glaube ich, vermissen unsere Kinder nichts", sagt Roth. Dank flexibler Arbeit, kurzen Wegen und zusätzlich einem Au Pair ist die Familie der Idealtypus einer neuen Zeit.

"Doch der ist und bleibt eine Ausnahme", sagt Alexandra Waßong. Auch sie stemmt die Kombination aus Beruf und Familie. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes und nach drei Jahren Auszeit musste und wollte sie wieder in den Beruf als leitende Angestellte zurück. "Wer zu lange raus ist, der verpasst den Anschluss", sagt sie. Der entscheidende Vorteil: Sie arbeitet von zu Hause. Trotz Fortschritten wie Elterngeld und verbesserter Kinderbetreuung leiden Familien vor allem unter Zeitproblemen. Das ergaben Umfragen im Zuge des neuen Familienberichts der Bundesregierung. So gaben 63 Prozent der Väter und 37 Prozent der Mütter an, sich aus Zeitgründen nicht genug um ihre minderjährigen Kinder kümmern zu können. 40 Prozent der Familien mit Kindern stehen oft oder immer unter Zeitdruck. Selbst die erhoffte Steigerung der Geburtenzahlen bleibt weiter aus. Der Kreis Pinneberg führt sein Bevölkerungswachstum allein auf Zuzüge zurück. "Ich glaube sogar, dass es für Familien immer schwieriger wird", sagt Waßong.

Und das alles trotz Fortschritten wie diesen: Um die Flexibilität für Familien im Kreis insgesamt zu erhöhen und Frauen nach der Geburt einen einfacheren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, investierten die Kommunen massiv in den Ausbau der Krippenplätze. Mit Erfolg: Laut Statistischen Landesamt haben im März dieses Jahres deshalb mehr als 20 Prozent der unter dreijährigen Kinder im Kreis eine Betreuungseinrichtung besucht. In ganz Schleswig-Holstein stieg die Quote gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent.

Doch der staatlich verordnete Boom, schließlich gilt ab 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, hat einen wesentlichen Nachteil: die hohen Kosten. Im Kreis verschlingt ein Krippenplatz monatlich 420 Euro. Dazu kommt das Mittagessen, noch einmal durchschnittlich 55 Euro. Selbst wer einen Anspruch hat, kann sich also die Betreuung nicht unbedingt leisten. Jedes Jahr steigen die Beiträge sogar noch um zwei Prozent, das hat der Kreis beschlossen.

Aber gerade Frauen steigen nach der Schwangerschaft in Mini- oder Teilzeitjobs ein und verdienen dementsprechend. "Das ist doch deprimierend. Ich will doch nicht nur für die Kita-Betreuung arbeiten. Dann kann ich mir den Job gleich sparen und zu Hause bleiben", sagt Waßong. So denken viele Mütter.

Und auch der Familienbericht besagt: 28 Prozent der Frauen mit einer Teilzeitstelle würden gern mehr arbeiten, wenn dies besser mit der eigenen Familie vereinbar wäre.

Neben Kosten verhindern auch starre Kita-Öffnungszeiten eine bessere Vereinbarkeit. Dabei geht es auch anders. Die Kita des DRK in Elmshorn, die Kita Turnstraße, hat seit einigen Jahren flexible Öffnungszeiten eingeführt. Die Einrichtung betreut Krippenkinder bis 17 Uhr, Kinder über drei Jahre dürfen sogar bis 20.30 Uhr bleiben. Was für Mütter wie eine Revolution anmutet, ist für die Kita-Leitung eine schlichte Notwendigkeit. "Die Gesellschaft und Arbeitswelt haben sich in den letzten Jahren maßgeblich verändert und auch Kitas müssen diesem Wandel Rechnung tragen", sagt Marion Meusel, Kita-Leiterin.

Der Jugendhilfeausschuss des Kreises hat nun beschlossen, allen Kitas die Möglichkeit einer weiteren Flexibilisierung ihrer Öffnungszeiten zu erleichtern. Nicht nur für Waßong bleibt diese Entscheidung ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir brauchen ein gerechteres Finanzierungs- und Bezahlmodell für die Kinderbetreuung", fordert sie. Und sie nimmt dabei auch die Arbeitgeber in die Pflicht. "Viele leben noch in einem vergangenen Jahrtausend. Wir brauchen mehr Flexibilität und Familienfreundlichkeit in den Unternehmen."