Thorsten Overmann aus Rellingen findet für Krebs-Patientinnen die richtige Perücke. Der Unterschied zum Echthaar ist oftmals kaum zu sehen.

Rellingen. Christine Moritz sieht sich im Katalog verschiedene Perückenmodelle an, während sie auf Friseur Thorsten Overmann in Rellingen wartet. Sie sitzt allein in einem Nebenraum, von neugierigen oder mitleidigen Blicken abgeschirmt. Ihr Kopf ist kahl. 14 Tage nach der ersten Chemo-Therapie fiel ihr das dunkelbraune Haar büschelweise aus. Da ließ sich die 44-Jährige lieber gleich alle abrasieren. "Unglaublich, wie kalt es ohne Haar ist", sagt sie.

Im Oktober ging Christine Moritz mit Schmerzen in der Brust zur Frauenärztin. Die Ärztin fand nichts. Der Schmerz blieb. Beim zweiten Arztbesuch zeigte die Mammografie einen Tumor, versteckt unter dem Gewebe. Für ihre Mutter, die sie zur Ärztin begleitete, ein Schock. Ihr Kind ist das zweite Familienmitglied, das an Krebs erkrankt. "Die Diagnose traf meine Familie und Bekannte härter als mich", sagt Christine Moritz.

Sie gibt sich stark und zuversichtlich. Zwei Jahre hat sie sich nun schon mit dem Thema Krebs auseinandergesetzt. Dass sie nun selbst daran erkrankt ist, haut sie nicht um. Christine Moritz beschließt, alles zu tun, um wieder gesund zu werden. "Mir wurde gesagt, ein Tumor schmerzt nicht", sagt Christine Moritz. Weder sie noch die Ärztin konnten den Knoten ertasten. Der Schmerz rettete ihr vermutlich das Leben.

Zwei Wochen nach der Diagnose entfernten die Ärzte im Brustzentrum in Pinneberg auf der rechten Seite Tumor und Lymphknoten. Christine Moritz hat Glück. Leber, Bauch und Knochen sind frei von Metastasen. Der Krebs hat nicht gestreut. Der Weg zur vollständigen Heilung ist dennoch ein langer: sechs mal Chemotherapie im Abstand von drei Wochen, danach sechs Wochen Bestrahlung und fünf Jahre Hormonbehandlung. Vier Wochen nach der letzten Chemo werden die Haare wieder wachsen. Bis es soweit ist, wird sie eine Perücke tragen.

Thorsten Overmann, 39, hat sechs verschiedene Modelle bestellt und angepasst. Christine Moritz entscheidet sich für ein Modell, das ihrem Echthaar gleicht. Der Unterschied ist kaum zu sehen, die Krankheit nicht für jeden sichtbar. "Nur wenige Kundinnen möchten nach der Diagnose aus sich einen anderen Typ machen", sagt Overmann.

Eine Perücke bedeutet Diskretion, ein Stück weit auch Selbstwertgefühl. Schönes Haar steht für Gesundheit und Weiblichkeit. Nicht jede Frau steckt den Verlust leicht weg. "Manche Kundinnen weinen erst einmal bitterlich", sagt der 39 Jahre alte Quickborner. Beim ersten Besuch berät er, misst den Kopfumfang, sieht sich Struktur und Farbe des Echthaares an, beantragt bei den Krankenkassen die Zuschüsse. Beim zweiten Besuch wählt die Kundin ein Modell aus. Er frisiert dieses am Kopf. Auch Maßanfertigungen sind möglich, dauern aber zehn bis zwölf Wochen.

Die Frauen, die eine Chemo durchmachen, brauchen eine schnelle Lösung. Daher raten Ärzte dazu, gleich nach der Diagnose zu einem Friseur mit kassenärztlicher Zulassung zu gehen. Lediglich vier Prozent der Frauen behalten ihre Haare nach der Chemo.

"Für viele Frauen bricht mit der Diagnose Krebs erst einmal eine Welt zusammen", sagt Brigitte Tiegs, Psycho-Onkologin des Pinneberger Brustzentrums der Regio-Kliniken. Die Psychologin sucht die Patientinnen nach der Operation am Krankenbett auf und bietet ihnen unterstützende Gespräche an. In diesen können sie über alle Gefühle, besonders über ihre Ängste sprechen und erhalten Hilfestellung, mit der neuen schweren Situation umzugehen. Das Gesprächsangebot schließt auch die Angehörigen mit ein, denn diese sind ebenfalls betroffen von der Erkrankung. Auch nach der Entlassung kann der Kontakt zur Psycho-Onkologin bei Bedarf immer wieder aufgenommen werden um weitere Themen mit ihr zu besprechen.

Zum interdisziplinären Team des Brustzentrums gehört auch Iris Hättich, die sich als Sozialpädagogin um die sozialrechtlichen Belange der Patientinnen kümmert. Sie informiert beispielsweise über Leistungen der Krankenkassen sowie Rehabilitationsmaßnahmen, stellt Kontakt zu Selbsthilfegruppen her, hilft beim Antrag eines Schwerbehindertenausweises. "Das Wichtigste für uns alle ist, dass die Frauen sich aufgefangen und getragen fühlen durch das Team des Brustzentrums", sagt Iris Hättich. Auch andere hilfreiche Angebote wie Sport nach Krebserkrankungen und Kosmetikseminare werden von ihr vermittelt oder eben der Kontakt zum Friseursalon.

Thorsten Overmann muss die Filiale im Krankenhaus demnächst räumen, weil die Regio-Klinik den Platz braucht. Er wird aber in Rellingen weiter für die Patientinnen da sein, um ihnen ein Stück Normalität zurückzugeben.