Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier macht Wahlkampf in der Kreisstadt. 320 Genossen und Gäste verfolgen den Auftritt im Ratssaal.

Pinneberg. Der Fond der schwarzen Mercedes-Limousine mit Berliner Kennzeichen ist hell erleuchtet. Weißes Haar, weißes Hemd, schwarze Brille, markantes Profil - ist das nicht . . ? Genau. Direkt vor dem Pinneberger Rathaus sitzt Frank-Walter Steinmeier in seinem Dienstwagen, studiert Akten und gibt so den heranströmenden Besuchern seines Wahlkampfauftritts einen unerwarteten Einblick in seinen Berufsalltag: Ständig auf Achse. Gestern noch in Kiel, heute in Pinneberg. Es gilt Wahlen zu gewinnen.

Noch immer sitzt Steinmeier in seinem klimatisierten Wagen, draußen fröstelt die lokale Parteiprominenz mit dem Bundestagsabgeordneten Ernst Dieter Rossmann, Kreisparteichef Hannes Birke und den vier Direktkandidaten für die Landtagswahl, Beate Raudies, Johanna Skalski, Kai-Oliver Vogel und Thomas Hölck. Auch Bürgermeisterin Kristin Alheit ist da. "Komm raus, Frank-Walter, es ist kalt", murmelt einer.

Als hätte er es gehört, steigt der Chef der SPD-Bundestagsfraktion aus. Mit Gefolge geht's in den voll besetzten Ratssaal. Beifall brandet auf. 320 Parteigänger und Gäste sind gekommen, um den Mann in Augenschein zu nehmen, der als einer der möglichen Kanzlerkandidaten seiner Partei gilt, sich aber noch ziert, den Hut in den Ring zu werfen.

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Lässig, souverän und unaufgeregt arbeitet Steinmeier die großen Politikfelder ab, verliert nur wenige Sätze über den unter Druck stehenden höchsten Repräsentanten des Landes. Es sei schon bezeichnend, sagt er, wenn ein Bundespräsident auch in der sechsten Woche nach Beginn der Kreditaffäre noch nicht wisse, was er falsch gemacht habe. Doch auch wenn Deutschland über Wulffs Amtsführung diskutiere, dürfe nicht vergessen werden, wo die wahren Probleme dieses Landes lägen - nämlich bei der schwarz-gelben Bundesregierung.

CDU und FDP seien vom selbst ernannten Traumpaar vor zwei Jahren zum Albtraum der deutschen Politik geworden, sagt Steinmeier. Es liege natürlich nahe, dass er dies als Oppositionsvertreter sage, "doch auch bei der CDU und FDP mehren sich die kritischen Stimmen". Er kenne Leute, die vor zwei Jahren FDP gewählt haben, "heute sagen sie, bitte sprechen Sie mich nicht mehr darauf an".

Wenn die FDP sich heute mit Aufschwung und wenig Arbeitslosigkeit brüste, sei dies "zum aus der Haut fahren". Die Partei ernte Erfolge, die die Sozialdemokraten säten. Die SPD sei es gewesen, die vor zehn Jahren die Stellschrauben justiert habe und 2008/2009 das Land aus der Finanzkrise geführt habe. Verlängerung der Kurzarbeit und Konjunkturprogramme für die Kommunen seien nur einige Stichworte.

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Bedauerlicherweise sei die amtierende Regierung nicht in der Lage, die Weichen für die Zukunft Deutschlands zu stellen. "Es ist fünf vor zwölf", sagt Steinmeier, der sich deutlich für eine rot-grüne Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode ausspricht, um den Herausforderungen des nächsten Jahrzehntes zu begegnen.

Sein Credo: Auch in Wahlkämpfen nicht mehr versprechen, als man einhalten kann. Ausgabendisziplin sei künftig unabdingbar, "doch diese wäre unglaubwürdig", wenn sie nicht durch eine gerechte Besteuerung und wirksame Spielregeln für den Finanzmarkt begleitet werde. Subventionsabbau ebenso wie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes dürften kein Tabu sein, sagt Steinmeier unter großem Beifall der Besucher. Doch egal, was passiere - wenn Gelder frei sind, müssten diese in eine bessere Bildung fließen.

Genauso müsse man alle Instrumente des Arbeitsmarktes für eine Steigerung und Sicherung der Beschäftigung nutzen, sagt Steinmeier. "Und dazu gehört selbstverständlich auch ein angemessener Mindestlohn in Deutschland."

Der Fraktionschef schlägt den Bogen zu den Migranten, die einen wesentlichen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands hätten. "Zuwanderung ist mittlerweile in jedem Land wichtig", sagt Steinmeier. Mit Hilfe eines klugen Miteinanders müsse eine Gesellschaft es schaffen, auch bei Problemen mit Migranten mit sich selbst ins Reine zu kommen. Insofern sei es bedauerlich, dass es ein Sozialdemokrat gewesen sei, der das Buch "Deutschland schafft sich ab" geschrieben habe, sagt er mit Blick auf Thilo Sarrazin.

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Wenn eine braune Terrorgruppe zehn Jahre lang unbehelligt Morde an Migranten verüben konnte, sei dies ein unfassbarer Skandal, sagt Steinmeier. "Wir müssen diesen braunen Sumpf austrocknen, das ist unsere Pflicht und Verantwortung gegenüber den Angehörigen."

Nach seiner Rede setzt sich Steinmeier zu den vier Direktkandidaten der SPD aufs Podium, diskutiert mit den Besuchern und ruft dazu auf, den schleswig-holsteinischen SPD-Spitzenkandidaten Torsten Albig bei den Landtagswahlen im Mai zu unterstützen. Immerhin ist es die einzige Landtagswahl Deutschlands in diesem Jahr und damit die Chance, ein politisches Ausrufezeichen zu setzen.

Er könne gern noch im Foyer des Ratssaales mit den Besuchern weiter diskutieren, lädt Kai-Oliver Vogel den prominenten Gast ein. Obwohl Steinmeier kurz überlegt, lässt er sich nicht zwei Mal bitten -und bekommt von SPD-Ortschef Herbert Hoffmann, der sich tags zuvor bei den Genossen in Kiel über den Geschmack des Gastes schlau gemacht hatte, ein alkoholfreies Bier serviert. Erst gegen 22 Uhr verschwindet Steinmeier im Dienstwagen, der ihn durchs nächtliche Pinneberg Richtung Autobahn bringt. Ständig auf Achse. Heute in Pinneberg, morgen in Berlin.