Baumschuler Jens Rix beauftragte Moorreger Reetdachdeckerei. Das Material kommt aus Ungarn.

Halstenbek. Das Halstenbeker Armenhaus bekommt eine neue Kopfbedeckung. Seit mehr als einer Woche sind Nils und Lorenz Neermann und ihr Mitarbeiter Herbert David dabei, Stück für Stück das in Ehren ergraute alte Reetdach zu entfernen und mit einer neuen Eindeckung zu versehen. Die Brüder Neermann sind Inhaber der von ihrem Großvater vor mehr als 70 Jahren gegründeten Reetdachdeckerei in Moorrege.

Nach Halstenbek hat Jens Rix die Naturdach-Spezialisten geholt. Der Baumschuler ist Eigentümer des ehemaligen Armenhauses an der Königstraße 24, das zu den ältesten Gebäuden der Gemeinde zählt.

Das lang gestreckte Backsteinhaus mit den vielen Fenstern und Türen entwickelt einen ganz eigenwilligen architektonischen Charme. Erst auf den zweiten Blick entdecken Passanten nämlich den mit 34 Metern ungewöhnlich langen Baukörper. Die zur Straße ausgerichtete Giebelseite, die zuerst sichtbar wird, ist nur fünf Meter breit und fünf Meter hoch. Zwei halbkreisförmige Fenster und eine im Obergeschoss eingesetzte Luke lassen die Front fast wie ein Gesicht aussehen.

Kein Wunder, dass es Rix sehr am Herzen liegt, das betagte Gebäude in Schuss zu halten.

Bereits vor zwei Jahren ließ der Baumschuler die nordwestliche Seite des Reetdachs erneuern. Das war auch nötig, denn bei starken Regenfällen drang schon mal Wasser durch das Dach ins Gebäude ein. So weit soll es mit der zweiten Hälfte gar nicht erst kommen. Deshalb holte Rix erneut die Moorreger Reetdachdecker. Wie teuer ihn sein Engagement kommt, das 1843 errichtete Armenhaus neu eindecken zu lassen, verrät der Baumschuler nicht.

"Erneuert werden nicht nur die Reetbündel, sondern auch die darunter liegenden Dachlatten", erläutert Nils Neermann. Das weizenblonde Naturmaterial stammt nicht etwa aus der nahe gelegenen Haseldorfer Marsch, sondern kommt als Importware aus Ungarn. "Dort ist Reet besser verfügbar, weil in Deutschland die meisten Flächen unter Schutz gestellt sind", sagt Neermann.

Die Reetdachdeckerei ist ein Knochenjob, erfordert aber auch künstlerisches Geschick. Gilt es doch zunächst, die Reetbündel aufs Dach zu wuchten und dann mit einer Menge Liebe zum Detail der Dachform anzupassen. Dabei wird das Reet entgegen der Vermutung mancher Laien nicht zurechtgestutzt. Die gebündelten Halme werden lediglich so weit ins Dachgerüst geschoben, bis die Konturen stimmen. Die Schnittkanten von der Ernte des Reets bilden dann die Oberfläche des Daches. Das ist an der Traufe, also der unteren Dachkante, an der die Arbeiten begonnen werden, besonders gut zu erkennen. Für das Einschieben der Bündel verwenden die Männer ein spezielles Handwerkszeug: die sogenannten Dachtreiber. Das sind Metallschilde, die aussehen, wie ein Tablett. Mit dem Dachtreiber werden die Halme in die ebenfalls aus Reet bestehende Vorlage gedrückt. Mit Drahtschlingen ist dieses Unterfutter an den Dachlatten befestigt.

"Das beim Armenhaus entfernte ausgediente Reet ist bis zu 100 Jahre alt", schätzt Lorenz Neermann. Auftraggeber Jens Rix ist gespannt, ob die neue Eindeckung auch so lange halten wird.