Das von einer Studentin umgestaltete Utensil bleibt als Symbol im Rathaus - und kommt am Sonntag wieder zum Einsatz.

Pinneberg

Ein auf viele Betrachter bedrohlich wirkendes Statussymbol früherer Bürgermeister hat das Pinneberger Rathaus für immer verlassen. Es ist der aus dunklem Tropenholz gefertigte, wuchtig-repräsentative Schreibtisch aus der Chef-Etage. Er ist rechtzeitig zur Europawahl in neuer Gestalt zurückgekehrt. Aus unzähligen Brettern von Tischplatte, Schubkästen und Ausziehtabletts ist eine ungewöhnliche Wahlurne geworden. Sie steht im Wahllokal Rathaus Briefwählern für die Europawahl zur Verfügung.

Für das Kunstobjekt hat die Studentin Karoline Dausien von der Hamburger Akademie Mode & Design den Schreibtisch zerlegt und sorgfältig nummerierte Einzelteile für den neuen Zweck wieder zusammengefügt. Dran glauben musste die Kommandozentrale des früheren, für seinen rigiden Führungsstil bekannten Bürgermeisters Hans Hermann Kath. Ein Recycling-Vorgang mit symbolischer Bedeutung: Da ein Büroungetüm, das Machtfülle signalisierte, hier die Urne im Dienste der demokratischen Willensbildung der Bürger. Wurzeln und Zukunft des gewandelten Gebrauchsobjekts befinden sich im Pinneberger Rathaus. "Die Urne ist der Anfang, sich einzumischen in gesellschaftliche Prozesse", sagte Professor Florian Borkenhagen. Er hat die Arbeit von Dausien betreut. "Die neue Wahlurne soll ein Zeichen sein", sagte ihre Schöpferin. Und Pinnebergs neue Bürgermeisterin Kristin Alheit freute sich: "Ich finde es klasse, dass durch das Projekt ein Stück Geschichte erhalten werden konnte und nun in der neuen Funktion seinen weiteren Einsatz im Rathaus finden wird."

Es ist ausgerechnet die erste Frau auf dem Chefsessel im Pinneberger Rathaus, die den Mut hatte, das Kathsche Ungetüm entfernen zu lassen. Ihr Vorgänger Horst-Werner Nitt (1996 bis 2008) und Jan Nevermann (1990 bis 1996) residierten noch in respektvollem Gedenken an dem von Kath 1963 angeschafften Möbel.

Nicht so der frühere Erste Stadtrat Herbert Hoffmann. Als Stellvertreter des Bürgermeisters hatte der Sozialdemokrat nach dem Tod Kaths 1990 bis zur Wahl eines Nachfolgers monatelang die Regie im Rathaus übernommen und damit auch Einblick in diverse Geheimfunktionen erhalten. "Ich habe selten am Schreibtisch gesessen. Der hatte so etwas Merkwürdiges an sich. Ich habe lieber den Besprechungstisch genutzt", erinnert sich Hoffmann.

Hoffmann war es, der den Kathschen Schreibtisch entzauberte. Als erste Amtshandlung ließ er diverse Knöpfe unter der Schreibtischplatte entfernen. "Das geschah innerhalb eines Tages. Ich habe nie wieder Beamte so schnell laufen sehen", erinnert er sich. Das galt vor allem für die Entfernung einer Rufanlage, die Kath mit allen Büros verband. Sie hätte eingeschaltet werden können, ohne dass die Betreffenden es gemerkt hätten.

Kath war es ferner gewohnt, von seinem Chefposten aus mit Hilfe von Klingel- und Lichtzeichen Kontakt zu seinem Vorzimmer zu halten. Er konnte Signal geben, wenn er nicht gestört werden wollte oder wenn unvorhergesehene Ereignisse sich zu einem Notfall auszuweiten drohten. Umgekehrt konnten die Mitarbeiterinnen dem Bürgermeister darauf aufmerksam machen, wenn ein unangenehmer Zeitgenosse im Vorzimmer auftauchte. Dann hatte der Bürgermeister die Möglichkeit, durch eine Hintertür zu verschwinden.

Seine Schaltstelle der Macht ließ Kath übrigens überaus schonend behandeln: Die Oberfläche des Möbels und die Akten darauf durften lediglich von einer besonders eingewiesenen Reinigungskraft mit einem Pinsel vorsichtig abgestaubt werden.