Gastgeber Schachklub Norderstedt verliert die beiden Heimspiele gegen SV Mülheim Nord und Sportfreunde Katernberg jeweils mit 2,5:5,5.

Vier in Folie eingeschweißte DIN-A-4-Zettel weisen den Weg zur Wettkampfstätte. Über dem Eingang zum Unterstufen-Schulhof des Coppernicus-Gymnasiums hängt ein Pappschild mit der Aufschrift. "Schachklub Norderstedt von 1975 e.V. - der Klub zum Wohlfühlen." Ein älterer Herr durchschreitet den Torbogen und marschiert zielstrebig in Richtung Mensa. Ansonsten ist das Areal menschenleer; kaum zu glauben, dass dort in einer halben Stunde das Bundesliga-Heimspiel des SKN gegen den SV Mülheim Nord stattfinden wird.

Der Kontrast zu einem Match im Fußball-Oberhaus könnte kaum größer sein. Wenn Rafael van der Vaart & Co. auf Torejagd gehen, strömen die Fans 30 Minuten vor dem Anpfiff in Scharen auf ihre Plätze, werden die ersten Gesänge angestimmt, Bengalos abgebrannt und auch schon mal eine Schlägerei mit Anhängern der Gastmannschaft angezettelt. Doch mit derartigen Aktionen haben die Geistesakrobaten am Schachbrett nichts am Hut. Sie üben ihren Sport viel emotionsloser und demzufolge auch kultivierter als die Vertreter der kickenden Zunft aus.

13.50 Uhr, nur noch zehn Minuten bis zum ersten Zug. Rüdiger Schäfer, 57, tigert nervös zwischen Foyer und Turniersaal hin und her. "Ich schwitze", sagt der Vorsitzende des SKN. Dabei ist es eigentlich recht frisch. Aber Schäfer steht sichtbar unter Strom; er checkt einmal, zweimal, dreimal, viermal, ob die Rahmenbedingungen auch tatsächlich den Vorschriften des zwölf Seiten dicken Regelhefts des Deutschen Schachbundes (DSB) entsprechen. Beleuchtung, Belüftung, Raumtemperatur, der Abstand der insgesamt 16 Wettkampftische zum Zuschauerbereich - alles soll und muss bei der Bundesliga-Premiere perfekt sein.

Viele Spieler kommen erst auf den letzten Drücker

Doch wo sind eigentlich die Hauptdarsteller? "Kein Grund zur Aufregung, viele Spieler kommen erst auf den letzten Drücker", sagt Oberschiedsrichter Detlef Wickert (Neu-Wulmstorf), "aber noch ist ja jede Menge Zeit." Der Mann kennt sich hervorragend aus: Schlag 14 Uhr füllt sich der Raum wie von Zauberhand, die Aktiven nehmen an den Brettern Platz. Es folgen eine kurze Begrüßung durch Rüdiger Schäfer und strenge Worte des Unparteiischen. "Ich möchte niemanden aufs Klo verfolgen müssen", sagt Wickert, "wer es bis jetzt noch nicht getan hat, schaltet bitte sein Handy aus."

Die Ermahnung hat einen handfesten Hintergrund. Schachspieler dürfen während eines Bundesliga-Wettkampfs keinerlei Zugriff auf Mobiltelefone, Computer oder sonstige elektronische Geräte haben. Oder einfacher ausgedrückt: Schummeln ist verboten. Eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit. Doch beim Saisonstart am 20. Oktober hat es gerade erst einen Fall gegeben, in dem ein Akteur des SC Eppingen verdächtigt wurde, sich unerlaubter Hilfsmittel bedient zu haben.

Solche Mätzchen haben die Spieler des SK Norderstedt nicht nötig. "Das kommt bei uns nicht in Frage", sagt Rüdiger Schäfer, der mittlerweile frischen Kaffee gekocht hat und vom Verpflegungsstand aus mit sorgenvoller Miene Richtung Turniersaal schaut. Grund: Die gläserne Eingangstür verursacht beim Öffnen und beim Schließen ein leichtes Quietschen. Schäfers Vereinskollege Manfred Ohrt hat mit Werkzeug und Ölkanne zwar alles versucht, um die Ursache zu beseitigen, ist - wie sich nun zeigt - mit seinen Bemühungen aber erfolglos geblieben.

Glück im Unglück: Die 32 Bundesliga-Cracks, die sich derweil verbissen duellieren, scheint das Geräusch nicht zu stören. Die meisten starren mit Tunnelblick auf die weißen und schwarzen Figuren, den Kopf tief in die Hände vergraben; andere blicken aus dem Fenster, rekapitulieren dabei möglicherweise noch einmal die letzten Züge, die sie schriftlich notiert haben.

Und dann gibt es auch noch die ganz coolen Spieler, die ihren Gegner Gegner sein lassen, sich ein wenig die Beine vertreten, gelassen durch die Gegend schlendern und den Mannschaftskollegen interessiert über die Schulter schauen. Dies alles geschieht nahezu geräuschlos; der Turniersaal ist ein Raum der Stille.

Sämtliche Bundesliga-Partien werden live im Internet übertragen

Inzwischen tauchen die ersten interessierten Zuschauer auf. Einer von ihnen ist Fide-Meister Viktor Polischuk vom SK Norderstedt. Er pausiert gegen den SV Mülheim Nord, darf dafür aber einen Tag später gegen die Sportfreunde Katernberg mitmischen. Nach einem ersten Rundgang inspiziert er den ein Stockwerk höher eingerichteten Internet-Raum. Dort projiziert ein Beamer alle aktuellen Partien an die Wand - mit speziellen Sensoren ausgestattete Schachfiguren und -bretter machen die vom DSB für Bundesliga-Wettkämpfe vorgeschriebene Live-Übertragung ins weltweite Netz möglich.

Der Unterstützung von Jürgen Bildert, Björn Bente und Reinhard Ahrens vom Hamburger SK ist es zu verdanken, dass der SK Norderstedt diese Auflage des Verbandes überhaupt erfüllen kann. Die Internet-Experten haben die Spielfelder vor Wettkampfbeginn verkabelt und überwachen nun mit Argusaugen den Datentransfer zum Bundesliga-Zentralrechner. Miete des gesamten Equipments und technischer Support kosten den SKN 600 Euro. Für die finanziell nicht auf Rosen gebetteten Norderstedter eine stolze Summe. Die Anschaffung der Ausrüstung wäre aber noch viel teurer gewesen.

Mittlerweile hat sich Viktor Polischuk einen Überblick über den Zwischenstand verschafft, es sieht nicht besonders gut für die Hausherren aus. Kein Wunder. "Wir sind in dieser Saison in jedem Mannschaftskampf Außenseiter", sagt Polischuk. Entsprechend gelassen gehen er und seine Vereinskollegen mit Niederlagen um. "Das ist nicht weiter schlimm, für uns ist es das Größte, in der Bundesliga zu spielen."

Morgen findet im Raum 201 des Norderstedter Rathauses eine Nachbetrachtung des dritten und vierten Spieltags in der Schach-Bundesliga statt. Beginn ist um 20 Uhr.