Kreis Segeberg. Pilotversuche in Henstedt-Ulzburg und Pinnberg erfolgreich. Trotzdem gibt es Kritik. Entscheiden müssen die Landespolitiker.

Eine Frage, mit der sich jeder Mensch auseinandersetzen muss: Wie möchte ich bestattet werden? Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem demnächst eine besondere Form der Bestattung erlaubt werden könnte: die Reerdigung. Dabei wird der Leichnam in einem Kokon bestattet und soll sich innerhalb von etwa 40 Tagen auf natürliche Weise zu Humus zersetzen, der dann auf einem Friedhof beigesetzt wird. In Henstedt-Ulzburg und Pinneberg haben bereits Reerdigungen stattgefunden.

Franziska Rohr von Meine Erde und Bestatter Richard Hovorka zeigen, wie die Erde aus dem Kokon in einem Weidenkorb zur Grabstelle transportiert werden kann.
Franziska Rohr von Meine Erde und Bestatter Richard Hovorka zeigen, wie die Erde aus dem Kokon in einem Weidenkorb zur Grabstelle transportiert werden kann. © Norderstedt | Frank Knittermeier

Von der Bestattungs-Lobby wird Schleswig-Holstein seit etwa zwei Jahren aufmerksam beobachtet. Hier findet ein Pilotprojekt statt, an dem sich auch ein Bestattungsunternehmen aus Henstedt-Ulzburg beteiligt. Nicht alle, die mit Bestattungen im weitesten Sinne Geld verdienen, sind darüber begeistert. Urnen oder Särge zum Beispiel werden bei einer Reerdigung nicht mehr benötigt. So laufen Erd- und Feuerbestatter Sturm gegen die neue Konkurrenz. Entscheiden muss letztlich die Politik.

Reerdigung – nach 40 Tagen sind nur noch Knochen und Erde zu sehen

Bei der Reerdigung kommt der nackte tote Körper in einen sargähnlichen Behälter aus Edelstahl (Kokon) der mit natürlichem pflanzlichen Material gefüllt ist. Abschließend wird er mit dem Gabelstapler in eine Art Wabe (Alvarium) eingehängt.

Der zu Erde gewordene Leichnam wurde in einem Leinentuch zur Grabstelle auf dem Henstedter Friedhof transportiert. Die Angehörigen hatten das Tuch bunt bemalt.
Der zu Erde gewordene Leichnam wurde in einem Leinentuch zur Grabstelle auf dem Henstedter Friedhof transportiert. Die Angehörigen hatten das Tuch bunt bemalt. © Richard Hovorka | Richard Hovorka

Innerhalb von 33 bis 37 Tagen zersetzen körpereigene Mikroorganismen den Leichnam nahezu völlig. Wenn der Kokon nach 40 Tagen geöffnet wird, sind nur noch Erde und gröbere Knochen zu sehen, die anschließend zermahlen und der Erde beigefügt werden. Metallische Rückstände (künstliche Gelenke, Herzschrittmacher) werden entnommen.

Im Inneren des Kokons steigert sich die Temperatur auf 70 Grad

Der Zersetzungsprozess wird durch die entstehende Hitze – im Inneren des Kokons steigert sich die Temperatur auf 70 Grad – beschleunigt. Der Kokon wird in der Wabe nach zehn Tagen im Zeitlupentempo leicht hin und her bewegt, über Schläuche wird Luft eingeführt und über einen Filter wieder abgeführt.

Noch ist alles recht umständlich: Seit Februar vergangenen Jahre stehen in einer Halle auf dem Möllner Friedhof zwei Kokons mit je einem Alvarium (lateinisch für Bienenstock), ein weiteres Alvarium steht in der alten Kapelle auf dem Eichhof-Friedhof in Kiel – es sind die einzigen in Deutschland. Jeder Leichnam muss dort hingefahren werden, während die Bestattungen der Überreste später auf anderen Friedhöfen stattfinden können.

Zehn Bestattungsunternehmer beteiligen sich an dem Pilotprojekt

Zu den zehn Bestattungsunternehmen, die sich dem Pilotprojekt in Schleswig-Holstein angeschlossen haben, gehört das Henstedt-Ulzburger Institut Hovorka, dessen Inhaber Richard Hovorka eine von bisher 13 Reerdigungen im Lande durchgeführt hat. Die humusartigen Überreste eines Verstorbenen wurden im März auf dem Henstedter Friedhof beigesetzt.

„Der Verstorbene hatte es noch zu Lebzeiten testamentarisch festgelegt, weil er von dieser Form der Bestattung überzeugt war“, berichtet Richard Hovorka. „Er war durch einen Fernsehbericht darauf aufmerksam geworden.“ Im November vergangenen Jahres hatte das Henstedt-Ulzburger Bestattungsinstitut das Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen Circulum Vitae, dem Urheber des Projekts „Meine Erde“, der Öffentlichkeit vorgestellt. Seitdem hat Richard Hovorka etliche Anfragen registriert.

Verwesung im Kokon nach 40 Tagen so schnell wie nach 30 Jahren in der Erde

Die erste Pilotphase des Projektes, in der ursprünglich deutlich mehr Bestattungen vorgesehen waren, endet Ende 2023. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind nach den Erkenntnissen der schleswig-holsteinischen Landesregierung überzeugend. Wissenschaftlich begleitet wird das Verfahren von der Rechtsmedizin der Universität Leipzig. Im Auftrag des Anbieters wurden in den verschiedenen Verfahrensschritten Proben entnommen und untersucht. Die Untersuchungen zweier solcher Bestattungsprozesse sind inzwischen abgeschlossen. Erste Ergebnisse bestätigen nach Angaben der Universität eine beschleunigte Verwesung innerhalb von rund 40 Tagen.

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Das bedeutet: Die vorgefundenen Überreste in dem dabei entstehenden Erdsubstrat entsprechen nach den vorliegenden Rückmeldungen etwa denen, die rund 20 bis 30 Jahren nach einer herkömmlichen Erdbestattung in der Erde zu finden sind. Mitarbeiter des Ministeriums für Justiz und Gesundheit klärten auch persönlich die Frage, ob beim Öffnen des Behältnisses nach dem Zersetzungsvorgang ein penetranter Verwesungsgeruch herrsche. Sie bestätigten aber, dass beim Öffnen lediglich ein „erdiger“ Geruch wahrnehmbar gewesen sei. Nach Ansicht des Kieler Ministeriums bedürfe es weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen, um ein solches Verfahren als neue Bestattungsart dauerhaft rechtlich zuzulassen. Das Ministerium verweist darauf, dass die Uni Leipzig eine Folgestudie plane.

Die Landesregierung hält die Ergebnisse des Pilotprojekts für überzeugend

Unternehmensgründer Pablo Metz, Geschäftsführer von „Mein e Erde“ bezeichnet die Bestattungsform als klimaneutral, nachhaltig und würdig. Kritiker unterstellen der Reerdigung dagegen einen hohen Energieverbrauch und CO₂-Ausstoß. Der Forensiker Klaus Püschel, ehemaliger Leiter der Hamburger Rechtsmedizin, sieht die Totenruhe gestört.

Die Landespolitik berät die Reerdigung zurzeit im Gesetzgebungsverfahren, noch in diesem Jahr stimmt der Landtag über eine Neufassung des Bestattungsgesetzes ab. Ob darin auch die Reerdigung enthalten sein wird, steht noch nicht fest.

Die evangelische Nordkirche betont in einer Stellungnahme, die Reerdigung ermögliche einen nachhaltigeren Umgang mit dem Tod. Dabei finde eine natürliche ökologische Transformation des Körpers statt, sagte die damalige Pröpstin Frauke Eiben (Ratzeburg) zu Beginn der Erprobungsphase im vergangenen Jahr. „Die Reerdigung entspricht vollständig dem christlichen Verständnis des ewigen Lebens, das von einer Auferstehung nach dem Tod ausgeht“, stellte die Pröpstin ein einer Presseerklärung fest. „40 Tage sind im biblisch-theologischen Kontext eine wichtige Zahl: Sie steht für Veränderung, Befreiung, Klärung.“