Henstedt-Ulzburg. Gemeinde zieht gegen den Netzbetreiber Tennet vor das Bundesverwaltungsgericht. Warum dieser Beschluss sehr umstritten ist.

Die Gemeinde Henstedt-Ulzburg wird versuchen, die vorbereitenden Arbeiten für die Ostküstenleitung mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu stoppen. Der Planungs- und Bauausschuss hat sich mit der knappsten aller möglichen Mehrheiten – sieben zu sechs Stimmen – dafür entschieden.

Es ist ein beispielloser Schritt, und zugleich sehr umstritten. Denn sowohl Angelika Leppin, die Rechtsanwältin der Gemeinde und eine Expertin für Verwaltungsrecht, als auch die Verwaltung rieten CDU, FDP und BfB eher ab, jetzt schon diesen Weg zu gehen. Doch die drei Fraktionen stimmten geschlossen ab, während SPD, Grüne und die WHU dagegen waren.

Stromtrasse: Ostküstenleitung – Henstedt-Ulzburg klagt gegen den Baubeginn

Im Kern geht es darum: Sind die Maßnahmen, die der Netzbetreiber Tennet jetzt vorhat und die von der Planfeststellungsbehörde genehmigt worden sind, ein faktischer Baubeginn – oder im Zweifelsfall ohne Probleme rückgängig zu machen? „Eine Frage der Eingriffstiefe“, nannte es der Ausschussvorsitzende Stephan Holowaty (FDP), der vehement für die Klage warb.

Auf Gemeindegebiet soll ein Teil der 380-Kilovolt-Stromtrasse unterirdisch verlaufen, und das in sogenannten Düker-Leitungen. Hierfür sollen im Frühjahr die nötigen ersten, 20 bis 30 Meter langen Gruben ausgehoben werden, inklusive 21 Meter langer Bohrpfähle.

Henstedt-Ulzburg: Klage hat laut Anwältin nur geringe Erfolgsaussichten

Teilweise überirdisch, auf dem Gemeindegebiet von Henstedt-Ulzburg unter der Erde – der Verlauf der Starkstromtrasse ist sehr umstritten in der Region.
Teilweise überirdisch, auf dem Gemeindegebiet von Henstedt-Ulzburg unter der Erde – der Verlauf der Starkstromtrasse ist sehr umstritten in der Region. © dpa | Julian Stratenschulte

Dazu kommen Kabelübergangsanlagen, Baumfällungen, Amphibienschutzzäune, Ersatzquartiere für Haselmäuse und die Vergrämung von Vögeln. Tennet hatte zwei Argumente angeführt: Die nötigen Baumaschinen wären nun verfügbar, und zudem könnten günstige Vegetationsperioden genutzt werden. Dass dies jetzt möglich sein soll laut Planfeststellungsbehörde, ist ein deutlicher Hinweis: Vermutlich wird im Sommer die gesamte Ostküstenleitung genehmigt. Verzögerungen sollen vermieden werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann Henstedt-Ulzburg nur darauf pochen, dass die eigene Planungshoheit verletzt sei. Doch das ist offenbar ein schmaler Grat. Angelika Leppin: „Rechtlich gesehen, ist es nur eine Grube.“ Es besteht das Risiko, dass das Bundesverwaltungsgericht hier keine Rechtsverletzung sieht, sodass eine Klage abgewiesen werden könnte.

„Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“, so die Anwältin, sei die Planungshoheit der Gemeinde nicht betroffen von dem, was der Netzbetreiber vorhat. Sie hat die Erfolgsaussichten sogar nur auf 5 bis 10 Prozent beziffert.

Stromtrasse: 57 Baugrundstücke könnten verloren gehen

Die Erdkabel sollen im Gebiet der Pinnau-Wiesen verlaufen. Dort wird der Bebauungsplan 96 berührt. Es könnten 57 Baugrundstücke verloren gehen. Auch Maßnahmen zum Naturschutz wären eingeschränkt. Tennet hat dem stets widersprochen, entgegnete, dass Gehölze auch oberhalb der Düker-Leitung gepflanzt werden könnten.

Für viele Politiker schafft Tennet jetzt aber Fakten. „Die Tennet prüft uns gerade. Die Grünen sind schon abgesprungen. Es ist genau das, was Tennet immer wollte – uns auseinander zu dividieren“, sagte Dietmar Kahle, Fraktionschef der CDU. Auch damit, dass die Genehmigung kurz vor den Feiertagen gekommen sei. „Aber wir sind handlungsfähig.“

Henstedt-Ulzburg: Die Bürgermeisterin sieht „keinen Sinn in einer Klage“

Bürgermeisterin Ulrike Schmidt machte unmissverständlich klar, wie sie zu der Klage steht. „Wir haben die rechtliche Einschätzung von Frau Professor Leppin, die uns sehr wenig Erfolgsaussichten in einer Klage bescheinigt. Ich halte diese Sondersitzung zu diesem Zeitpunkt für unsinnig, für eine Verschwendung unserer Ressourcen, auch der Verwaltung. Ich sehe durch die Maßnahmen, die durch Tennet getroffen werden, unsere Planungshoheit nicht beeinträchtigt, und ich sehe keinen Sinn in einer Klage zu diesem Zeitpunkt.“ Die Kosten dürften bei um die 10.000 Euro liegen.

Nur die Grünen sind für einen Bau der Trasse, wie es jetzt geplant ist. Die SPD schloss sich Schmidt an. „Es ist an vielen Stellen im Papier deutlich geworden: Juristisch gesehen, handelt es sich um vorbereitende Maßnahmen. Wir warten das Planfeststellungsverfahren ab“, sagte der Fraktionsvorsitzende Horst Ostwald.

Aussagen der Bürgermeisterin sorgten für Diskussionen

Karin Honerlah (WHU) kommentierte spitzzüngig: „Weshalb machen wir das dann? Um Eindruck zu schinden bei der Tennet? Oder um den Bürgern zu zeigen, dass wir bis aufs Blut kämpfen? Das halten wir für falsch.“ Sie will das Planfeststellungsverfahren abwarten, „dann sehen wir weiter“. Gerichtet an die anderen Fraktionen, ergänzt sie: „Die 5 Prozent sollten uns nicht dazu verleiten, die Welt zu retten. Der Krieg ist verloren.“

Die beiden Fraktionen äußerten sich später noch einmal gemeinsam. Das Votum bedeutete „keineswegs, dass WHU oder SPD ihre grundsätzliche Meinung zu der Ostküstenleitung geändert haben“, so Horst Ostwald. Die Gemeinde habe mit ihrer Stellungnahme im August 2022 bereits die richtigen Zeichen gesetzt. Und: Man habe kein Klagerecht, „da die Grundstücke, um die es geht, sich nicht im gemeindlichen Besitz befinden“. Jeder betroffene Eigentümer müsse den Klageweg selbst bestreiten.

Die Aussagen der Bürgermeisterin brachten einige Anwesende auf die Palme, die CDU forderte sogar eine Entschuldigung. „Voll daneben“, sagte Jens Iversen (BfB). Denn nachdem anfangs alle gedacht hatten, es ginge um Eingriffe im Sinne von ökologischen Maßnahmen – das hätte man akzeptiert –, habe, so Iversen, das erläuternde Schreiben von Angelika Leppin die Situation eben verändert. „Es ist in Wirklichkeit keine juristische, sondern eine politische Entscheidung. Wir wollen das nicht bei uns!“

Stromtrasse: Henstedt-Ulzburg erwägt auch Klage gegen die endgültige Genehmigung

Es soll also ein Zeichen gesetzt werden. Leppin wird alle nötigen Dokumente fristgemäß zum 15. Januar beim Bundesverwaltungsgericht einreichen. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung, daher wird parallel ein Eilverfahren angestrengt, damit Tennet nicht bereits startet. Klar ist aber auch: Selbst, wenn die Gemeinde siegt, steht der große Kampf erst bevor.

Denn wenn die komplette Genehmigung für die Stromtrasse vorliegt, soll abgewogen werden, ob die Gemeinde eine sogenannte Normenkontrollklage einreicht. Das ist auch weiterhin möglich, unabhängig vom jetzigen Beschluss. Dann wird es darum gehen, ob Tennet einen Alternativ-Korridor entlang der künftigen Autobahn 20 ausreichend geprüft hat. Das Unternehmen sagt, das sei der Fall – viele im Ort sehen das anders.