Jetzt hat es also auch das beschauliche Norderstedt erreicht: Die Radlerinitiative „Critical Mass“. Zur vorher vereinbarten Zeit treffen sich Radfahrer und brettern im Pulk durch die Stadt. Der Witz dabei: Laut Straßenverkehrsordnung gilt das Velo-Geschwader ab einer Menge von 16 Teilnehmern als „geschlossener Verband“, und das schafft Sonderrechte: Man darf nebeneinander fahren, und die letzten Fahrer dürfen noch gemächlich mit über die Kreuzung rollen, obwohl die Ampel vielleicht längst auf Rot umgesprungen ist. Kling, Fahrradglöckchen, klingelingeling, und alle haben Spaß. Außer vielleicht ein paar leicht erhitzbare Autofahrer. Aber hey, Autofahrer – bald wird’s Winter, dann lacht ihr die Radler wieder aus, weil ihr ein Dach überm Lenker habt.

„Critical Mass“ heißt so viel wie: Kritische Masse. In der Kernphysik ist das die Mindestmenge eines spaltbaren Materials, die nötig ist, um eine Kernspaltungs-Kettenreaktion aufrechtzuerhalten. Mit anderen Worten: Oberhalb dieser Mindestmenge wird es schnell mal unkontrollierbar. Man kennt das auch aus der Politik. Da liegt die „Critical Mass“ bei der 5-Prozent-Hürde. Oberhalb dieser Marke dürfen Parteien hemmungslos mit aberwitzigen Projekten wie Maut, Erziehungsgeld oder Steuererleichterung für Hoteliers Amok laufen. Unterhalb davon vergisst man schnell, dass es sie überhaupt gibt (hat jemand irgendwo die FDP gesehen? Achtung, Durchsage: Die kleine FDP will aus dem Quotentief abgeholt werden! Bitte verzeihen Sie den Kalauer – man muss dringlichst alle FDP-Witze loswerden, solange überhaupt noch verstanden wird, über was man da spottet).

Der gravierende Unterschied zwischen der radelnden „Critical Mass“ und den politischen Parteien ist allerdings, dass Letztere tagtäglich und sogar noch aus dem Sommerloch heraus Kettenreaktionen produzieren, die Fahrrad-Aktivisten dagegen ihr Ding immer nur einmal pro Monat durchziehen. Das wäre doch ein Modell: Jeder darf mal, aber nur alle vier Wochen. Finde ich gut. Aber auf mich hört keiner, weil ich kein geschlossener Verband bin.