Im Verein Steinhanse haben sich Menschen zusammengeschlossen,die von Legosteinen fasziniert sind

Schon mal etwas von dem Begriff „Dark Ages“ gehört? Bei dem Namen kann man wahrscheinlich an vieles denken, kaum jedoch an die kleinen bunten Legosteine, mit denen vor allem Kinder die tollsten Gebilde zusammenbauen können. Legofans gebrauchen den Begriff, um eine nachträglich betrachtet sehr traurige Zeit zu kennzeichnen: Die dunkle Zeit nämlich, zwischen dem pubertären Rauswachsen aus Legoritterburgen und der Wiederentdeckung der kleinen bunten Steine im Erwachsenenalter. Manchmal ist die Zeit gar nicht so traurig, weil während der Pubertät ja auch das andere Geschlechte eine gewisse Rolle spielt, aber echte Legofans betrachten sie rückblickend dennoch als eine verlorene Zeit.

Die wieder aufkeimende Liebe zu den Legosteinen kommt manchmal mit aller Macht und mit einer solchen Wucht, dass vieles andere im Leben plötzlich zweitrangig wird. So wie bei Manfred Carstens zum Beispiel. Der 40 Jahre alte Bürokaufmann hat zweieinhalb Jahre gebraucht, um aus 16.000 Legosteinen ein etwa drei Meter langes Schiff zu bauen. Und weil er noch ein zweites, nur geringfügig kleineres Schiff gebaut hat, gibt es in seiner kleinen Wohnung ein leichtes Stauproblem, das nur mit Hilfe einiger Überlegung zu lösen war: Die Schiffe stehen jetzt im Schlafzimmer und in der Küche. Das ist vielleicht keine Dauerlösung, aber vorerst sind die Objekte dort ganz gut untergebracht. Und eine Ehefrau, die möglicherweise auch etwas Platz beanspruchen könnte, gibt es derzeit nicht. Wenn es demnächst eine geben sollte, müsste sie ebenfalls Legofan sein.

Wie fast alle Hobbys, die etwas mit dem Tüfteln, Bauen und Spielen zu tun haben, faszinieren auch Legosteine vor allem Männer. Das ist nun einmal so und kann schon im Kindesalter beobachtet werden. Jan Göbel aus Norderstedt, der in der flachen Hierarchie von Steinhanse eine Art Sprecher ist und für die Internetseite (www.steinhanse.de) verantwortlich zeichnet, hat das Problem auf wunderbare Weise gelöst: Seine Ehefrau Anja mag Legosteine ebenfalls. Sie baut vielleicht nicht wie ihr Jan bis 3 Uhr morgens die tollsten Modelle, aber in einem gewissen Masse zieht sie mit. Das muss sie auch: Wie könnte sie es sonst ertragen, dass überall in der Wohnung, in Vitrinen und Kartons, Legomodelle und -steine verteilt sind?

Manfred Carstens und Jan Göbel gehören zum Verein Steinhanse mit Hauptsitz in Norderstedt, unter dessen Dach sich ein paar Legofans verschiedener Herkunft und Alter zusammengetan haben, um gemeinsam zu fachsimpeln, zu bauen oder Ausstellungen zu organisieren. Wie zum Beispiel jene erste Ausstellung in der Henstedter Erlöserkirche, zu der am vergangenen Wochenende mehrere hundert Besucher kamen, die sich schnell ebenfalls in den Bann der aus Dänemark stammenden Steinchen ziehen ließen. Was hier, verteilt auf zwei Stockwerke, zu sehen war, hatte für viele Betrachter einen großen Reiz. Schiffe, der Eiffelturm, die Freiheitsstatue, eine Wüstenlandschaft aus Arizona, das Taj Mahal und vieles mehr ließen die Besucher staunen. Kernstück der Ausstellung war ein großer Tisch, auf dem sich mehrere Legozüge durch eine Kleinstadt mit Amtsgericht, Hauptstraße, Jahrmarkt und Fantasiegebäuden bewegten. Alles zusammengesetzt aus den kleinen Teilen, die 1958 zum Patent angemeldet wurden und seitdem einen Siegeszug um die ganze Welt angetreten haben. Es gibt wohl kein Kinderzimmer, in dem nicht irgendwann einmal Legosteinchen oder -figuren herumgelegen haben.

Jan Göbel hat als Kind massenhaft Legosteine besessen, aber so richtig wiederentdeckt hat er seinen Bautrieb vor vier oder fünf Jahren, als ein Freund mehrere Legomodelle anschleppte. Heute ist der Norderstedter 32 Jahre alt und stolzer Besitzer von etwa 400 Modellen, die aus etwa 10.000 Einzelteilen zusammengebaut wurden. Die Steine werden zum Beispiel auf Flohmärkten gekauft, gelegentlich auch mal in Geschäften, hauptsächlich jedoch per Internet, wo es eine Lego-Community gibt, deren Mitglieder sich austauschen, beraten inspirieren und sich mit gesuchten Teilchen gegenseitig helfen. Etwa 150 Euro gibt Jan Göbel pro Monat für sein Hobby aus. Legosteine landen so gut wie niemals in den Müllbehältern, weil es immer irgendjemanden gibt, der auch die ältesten Steine noch gebrauchen kann. Die Legoteile der ersten Generation können heute noch verbaut werden, haften aber nicht so gut wie die späteren.

Die erste großte Ausstellung in der Erlöserkirche stellte die Steinhanse-Mitglieder übrigens auch vor nicht unerhebliche logistische Probleme: Wie wird ein drei Meter langes Schiff eigentlich transportiert? Manfred Carstens hat für sich eine gute Lösung gefunden: Sein Schiff besteht aus fünf Modulen, die einzeln transportiert und schnell wieder zusammengefügt werden können. Ein gewisser Schwund ist dabei nicht auszuschließen, aber das erhöht den Reiz für die Legobauer eher noch: Herausgebrochene Teile lassen sich natürlich schnell wieder zusammenfügen. Denn im Grunde ist nicht ist das fertige Bauwerk das Ziel, sondern der Weg dorthin. Das Zusammenbauen also. Und übrigens: Geklebt wird natürlich nicht. Alles wird gesteckt.

Für sein Drei-Meter-Schiff hat Manfred Carstens denn auch eine sehr ausgeklügelte Statik ausgeknobelt, damit es nicht einfach zusammenkracht, sondern viel Stabilität besitzt.