Kieler Staatsanwalt und Landgericht streiten über die Anklage gegen die Eltern

Kreis Segeberg. Der Aufschrei und das Entsetzen waren groß, als im Juni 2012 der Fall des Segeberger „Kellerkindes“ bundesweit Schlagzeilen machte. Polizisten hatten in einem Kellerverlies am Bussardweg einen kleinen Jungen entdeckt, der nackt und verstört auf dem Betonboden saß. Der entsetzliche Verdacht: Seine eigenen Eltern hatten den Dreijährigen eingesperrt, der umschwirrt von Fliegen in seinem eigenen Kot saß. Doch auch nach mehr als zwei Jahren stehen die Verantwortlichen noch nicht vor Gericht. Staatsanwaltschaft und Landgericht streiten sich. Möglicherweise bleibt von den jahrelangen Ermittlungen nur eine Anklage gegen die Mutter wegen Freiheitsberaubung übrig.

Ob es dabei bleibt, soll jetzt das Oberlandesgericht in Schleswig klären. Oberstaatsanwalt Axel Biehler wollte beide Elternteile auch wegen Körperverletzung zur Verantwortung ziehen, doch der Richter ließ diesen Teil der Anklage nicht zu. Gegen diese Entscheidung legte Biehler beim Oberlandesgericht Beschwerde ein, die Erfolgsaussichten sind allerdings gering. Auch der Generalstaatsanwalt, der in dem Streit hinzugezogen wurde, unterstützt die Entscheidung des Richters.

Hintergrund der juristischen Auseinandersetzung sind die formalen Anforderungen an eine Anklage. Zwar gilt es unter allen Kennern des spektakulären Falls als unstrittig, dass nicht nur der Dreijährige, sondern auch seine fünf Geschwister Opfer familiärer Gewalt wurden. Immer wieder soll der Vater die Kinder geschlagen haben. Um diese Taten vor Gericht verhandeln zu können, müssen jedoch die Opfer diese präzise schildern können – mit Datum und Uhrzeit, dem genauen Ort und dem Ablauf. Kaum ein Kind kann diese Anforderungen des Rechtsstaates erfüllen. „Tatort und Tatzeit müssen individualisierbar sein“, sagte ein Ermittler. „Insbesondere bei Kindern ist das wirklichkeitsfremd.“

Besonders erschwert wurde die Arbeit der Staatsanwaltschaft, nachdem Kinder Aussagen über Misshandlungen zurückgezogen hatten, die sie zunächst bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatten. Ursprünglich standen außer dem Fall des eingesperrten Jungen 14 Attacken auf Mädchen in den Akten. In zwölf Fällen war nach damaligem Stand stets dasselbe Kind das Opfer. Warum die Mädchen ihre Angaben zurückzogen, ist unklar. Dass auf sie Druck ausgeübt wurde, bleibt eine Spekulation.

Auch die Nachweise, dass der kleine Junge regelmäßig im Keller eingesperrt wurde, sind juristisch dünn. Daran ändern auch die äußeren Umstände nichts: Als die Polizei das Kind fand, war der Raum völlig verdreckt, Fliegen schwirrten umher. Das Verlies war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Zudem ist unklar, ob die Eltern gemeinsam den Beschluss gefasst haben, das Kind im Keller vegetieren zu lassen.

Die Eltern waren dem Jugendamt des Kreises Segeberg bekannt. „Es war immer jemand da, der ihnen Hilfe anbot“, heißt es bei der Justiz. Doch die Angebote wurden angelehnt. „Es fehlte die Einsicht.“ Das Kreisjugendamt hatte für die meisten Kinder das Sorge- und das Aufenthaltsbestimmungsrecht und vergab den Auftrag für die Betreuung der Familie an einen freien Träger. Die Betreuer hatten jedoch nur Zutritt zu einem Zimmer.

Wegen des Alkoholmissbrauchs der Mutter während der Schwangerschaften sollen mehrere Kinder unter dauerhaften Schäden leiden. Warum sich die Eltern verantworten müssen, verstehen sie offenbar nicht. Intellektuell sind sie kaum in der Lage, dem Prozedere zu folgen, heißt es.

Dass es in der Familie trotz der staatlichen Aufsicht immer wieder zu Zwischenfällen kam, führte zu massiver Kritik an der damaligen Landrätin Jutta Hartwieg und ihrem Jugendamtsleiter Georg Hoffmann. Strafrechtlich werden sie sich jedoch nicht verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkt für eine erfolgversprechende Strafverfolgung. „Da kommt nichts bei heraus“, heißt es in der Anklagebehörde.

Egal, wie das Oberlandesgericht in Schleswig entscheidet – der Beschluss ist bindend. Bleibt es bei der zusammengestrichenen Anklage, wird der Prozess vor dem Amtsgericht in Bad Segeberg eröffnet.