Wie es in der Adlershorst-Siedlung an der Waldstraße gelingt, Wohnraum aufzuwerten und bezahlbar zu halten

Norderstedt. Die achtstöckigen Wohnblocks sind komplett eingerüstet und mit Gaze verhüllt. Der Geruch von angesengtem Plastik liegt in der Luft, das Schlagen des Bohrhammers liegt über der Szene. Bauarbeiter verschiedener Gewerke wuseln durcheinander, dazwischen Kinder der Anwohner, die sich mit Sandeimer und Schaufel zwischen ausgebauten Fenstern, aufgetürmtem Dämmmaterial und Lastwagen ihren Weg in den Sandkasten suchen: Willkommen auf der größten Sanierungs-Baustelle der Stadt.

Im 70er-Jahre-Wohnblock-Quartier an der Waldstraße stellt sich die Adlershorst Baugenossenschaft einer dringenden Mammutaufgabe. Insgesamt 12,7 Millionen Euro nimmt das Norderstedter Unternehmen in die Hand, um die 368 Wohnungen mit über 23.000 Quadratmetern Wohnfläche energetisch auf Top-Standard zu bringen: 16 Zentimeter starke Wärmedämmplatten für die Fassade, 2500 neue Kunststofffenster mit Dreifach-Verglasung und Anschluss an das klimaneutrale Fernwärmesystem der Stadt Norderstedt. Dazu werden die Fassaden neu gestrichen, jede Wohnung bekommt einen neuen Balkon, die Spielplätze und Außenanlagen der Umgebung werden hübsch gemacht.

Für landesweite Bedeutung aber sorgt das Unterfangen aufgrund seines sozialen Charakters. Denn die energetische Sanierung führt hier nicht wie vielerorts zu Preistreiberei bei den Mieten und der Verdrängung einkommensschwacher Mieter. Im Gegenteil: Die 263 Wohnungen in den Hochhäusern, die öffentlich gefördert sind, bleiben bezahlbar bei steigendem Standard. Die Mieter werden bis 2021 wie bisher nur 5,50 Euro den Quadratmeter Kaltmiete bezahlen, bis 2030 sind stufenweise Anhebungen auf maximal 7,10 Euro geplant. Blieben die Wohnungen unsubventioniert, lägen die Mieten bis 2030 hier bei fast 9 Euro.

Das Sanierungsprojekt Waldstraße ist ein Ergebnis der Offensive für bezahlbares Wohnen, das Innenminister Andreas Breitner mit den großen Wohnungsbaugesellschaften und der Investitionsbank Schleswig-Holstein verhandelt hat. Die Offensive reagiert auf den Fakt, dass allein im Süden Schleswig-Holsteins bis 2018 insgesamt 4400 Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen. Schon im Juli steigen die Mieten in den ehemaligen Sozialwohnungen um 9 Prozent, weitere 9 Prozent Steigerung sind ab Juli 2017 möglich, und 2019 werden sie völlig dem freien Markt übergeben. Menschen mit kleinen Einkommen haben kaum Chancen, diese Wohnungen zu halten.

„In Norderstedt haben wir über 500 preisgebundene Wohnungen verloren, und wir befürchten, dass es deutlich mehr werden“, sagt Thomas Jäger, Stadtvertreter der SPD und Vorsitzender des Sozialausschusses der Norderstedter Stadtvertretung. „Deshalb sind wir im Ausschuss so glücklich, dass Adlershorst sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist und diesen Deal abgeschlossen hat.“

Der Deal sieht so aus: Adlershorst hat die Preisbindung der 263 Wohnungen an der Waldstraße für weitere 15 Jahre fortgeschrieben. Weil die Genossenschaft damit auf erhebliche Erträge durch Mietsteigerung verzichtet, gewährt die Investitionsbank Schleswig-Holstein Adlershorst ein sehr günstiges Darlehen für den Bau weiterer bezahlbarer Wohnungen. Adlershorst hat sich darüber hinaus verpflichtet, das Quartier Waldstraße mit öffentlichen Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) energetisch zu sanieren.

Im Ergebnis werden 263 günstige Wohnungen in Norderstedt erhalten, und der Mieter einer beispielsweise 80 Quadratmeter großen Wohnung spart bis zu 40 Euro im Monat an Heizkosten. „Wir erhalten in Norderstedt nicht nur den geförderten Wohnraum, wir machen energetisch hochwertige Wohnungen daraus“, sagt Adlershorst-Vorstand Holger Reißweck. Wenn die Sanierung der Häuser 2015 abgeschlossen sein wird, sinkt die benötigte Jahresprimärenergie des Quartiers von 300 Kilowattstunden pro Quadratmeter auf 75 Kilowattstunden. Die Kohlendioxid-Emission sinkt um 97 Prozent.

Ein weiterer spektakulärer Aspekt der Sanierung: Die 2500 Fenster, die im Quartier ausgetauscht werden, landen nicht auf dem Müll, sondern bei der Veka Umwelttechnik in Thüringen. Das Unternehmen wiederverwertet PVC-Fenster aller namhaften europäischen Fensterbauer. Das so gewonnene Kunststoff-Granulat wird beim Bau neuer PVC-Fenster als Füllung wiederverwendet. „Die Norderstedter Waldstraße ist das größte Austausch-Projekt in Europa“, sagt Michael Vetter, Geschäftsführer der Rewindo, die das Recycling-System im Auftrag deutscher Fensterbauer organisiert. „Wir wiederverwerten 1,2 Millionen Fenster pro Jahr. Die alten Norderstedter Fenster landen als Füllmaterial in unzähligen Neubauten in ganz Europa.“

Für Thomas Jäger hat das Adlershorst-Beispiel Leuchtturmwirkung für das ganze Land. „Es gibt für Wohnungsbau-Unternehmen bei Sanierungen keine Ausreden mehr, wonach die Bewahrung von bezahlbarem Wohnraum an fehlenden Fördermitteln scheitert.“ In Kiel würden Millionen Euro auf andere Wohnungsbauer warten, die dem Beispiel in Norderstedt folgen wollen.