Nach der Beschlagnahme von 155 Kühen geht der Betrieb auf dem Hof in Todesfelde weiter

Todesfelde. Im Stall von Dieter Scherrer ist wieder Leben. Rund zwei Monate, nachdem die Staatsanwaltschaft Kiel sämtliche 155 Rinder des Landwirts aus Todesfelde – der Bestand umfasste Milchkühe, Kälber und zwei Bullen – beschlagnahmt hatte, läuft der Betrieb wieder. Wenn auch nur in deutlich kleineren Dimensionen mit 35 Kühen. Wer Scherrer, dessen Sohn Andreas oder Schwiegertochter Anja fragt, ob es nun wieder aufwärts ginge, erfährt, dass das Gegenteil der Fall ist.

Zum einen: Dieter Scherrer, seit 34 Jahren Milchbauer, besitzt keine Tiere mehr. Zwar hat ihm das Segeberger Kreisveterinäramt weiterhin nicht formal verboten, Rinder zu halten. Wohl aber, so sagt es der Landwirt, sei ihm verdeutlicht worden, dass für diesen Fall eine erneute Beschlagnahmung drohen würde. Also verpachtete er den Stall, die Melkanlage komplett an seinen Sohn. Alle baulichen Mängel, wie sie die Behörde aufgelistet hatte, seien behoben, sagt die Familie. Und der Kreis hat Andreas Scherrer eine Betriebsnummer gegeben, sodass er nun offiziell 35 Kühe besitzt.

Scherrers Schulden steigen und sind mit nur 35 Kühen kaum zu tilgen

Dafür, und das ist der zweite Grund für die prekäre persönliche Situation, sind die Scherrers an die äußerste finanzielle Belastungsgrenze gegangen, mussten Ersparnisse opfern und Maschinen veräußern. Zwischen 1000 und 2000 Euro kostet eine Kuh, Hochleistungsrinder sind noch teurer. Dieter Scherrer ist nun notgedrungen quasi Angestellter seines eigenen Sohnes. Die derzeitigen Einnahmen aus verkaufter Milch sind allerdings nicht annähernd ausreichend, um alle Rechnungen und Mieten zu zahlen. „Ich habe steigende Schulden, bin ruiniert bis an mein Lebensende“, sagt Dieter Scherrer. „Ich habe voll auf Kühe gesetzt und Land gepachtet. Und jetzt habe ich keine Einnahmen mehr. Von 35 Kühen kann sowieso niemand leben.“

Nach Auffassung von Kreisverterinärin Maike Pioch und Staatsanwältin Maya Schönfeld hat Scherrer seine missliche Lage selbst zu verantworten. Er habe seine Tiere schlecht gehalten und sei damit wiederholt auffällig geworden. Bei der Begutachtung des Stalls am 27. Januar hatte die Tierärztin den schlechten gesundheitlichen Zustand der Tiere moniert.

Ein Jungrind musste auf Anweisung von Tierärztin Pioch sofort, drei weitere Tiere am folgenden Tag auf Anweisung der Staatsanwaltschaft eingeschläfert werden. Einem Rind musste der Schwanz kupiert werden.

Scherrer erhielt eine Mängelliste, die er innerhalb von einer Woche abzuarbeiten hatte. Unter anderem sollte er einen Klauenpfleger bestellen, eine Krankenbox für lahmende oder medizinisch zu behandelnde Tiere errichten, eine zerbrochene Glasscheibe instandsetzen sowie Liegeboxen für die Kühe säubern und mit frischem Stroh ausstreuen.

Doch nur einen Tag später rückten Tierärztin und Staatsanwaltschaft mit Viehtransportern an, beschlagnahmten die Kühe und durchsuchten Dieter Scherrers Haus – der Landwirt beklagt, unfair behandelt worden zu sein.

„Wir hatten nur 14 Stunden. Das war nicht genügend Zeit, um Anpassungen vorzunehmen.“ Dabei hätte er doch stets einen guten Ruf gehabt und dem Kreis vor Jahren sogar geholfen, als dieser eine Auffangstation suchte für Tiere, die bei anderen Landwirten sichergestellt worden waren.

Die Scherrers stehen nicht allein mit ihrer Kritik an der Staatsanwaltschaft da. Seit einigen Wochen werden sie beraten vom Hamburger Juristen Thomas Abeltshauser. „Das eigentliche Problem sind weniger die Rinder, sondern das rechtswidrige Vorgehen unter Ausschluss jeglicher Rechtsstaatlichkeit“, sagt dieser. „Bisher hat es keine Legitimation für die Beschlagnahmung gegeben.“ Auf eine Anklage wartet Dieter Scherrer ebenso. Ein Eilantrag auf sofortige Wiederherausgabe, gestellt von Abeltshauser, liegt derzeit beim Amtsgericht Kiel. Dazu wird sogar eine Zivilklage gegen die Staatsanwaltschaft erwogen über einen Streitwert von mehreren hunderttausend Euro. Es geht um den Verdienstausfall, aber ebenso um den Wertverlust der trockengestellten Kühe.

Denn an ihrem aktuellen Standort, beim Dithmarscher Landwirt Bernd Karstens in Groven, werden sie nicht gemolken. Karstens vermeidet es, den Sachverhalt zu bewerten. „Es sind nicht meine Tiere, ich bin nur der Versorger. Den Kühen geht es sehr gut. Sie sind unter ständiger Kontrolle von Tierärzten.“ Die Staatsanwaltschaft könne sich doch aufgrund des Medieninteresses gar nicht erlauben, dass die Tiere schlecht gehalten werden. Karstens: „Hier gibt es nichts zu verheimlichen.“

Nur noch ein Freispruch könnte die Existenz des Bauern retten

Die Staatsanwaltschaft widersprach derweil bereits Vermutungen, dass die Milchkühe bald verkauft würden. Rechtlich gibt es allerdings die Möglichkeit einer „Notveräußerung“, wobei ein Landwirt dagegen vor Gericht Einspruch einlegen könnte.

Ob Dieter Scherrer irgendwann seine Kühe wieder nach Todesfelde bringen darf, ist offen. Hierfür müsste er von den Vorwürfen, er habe gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, freigesprochen werden. Andernfalls droht tatsächlich der Ruin: Denn wird er verurteilt, müsste er auch alle Kosten übernehmen, die durch die Unterbringung auf dem Hof von Bernd Karstens angefallen sind.

Um welche fünfstellige Summe es sich dabei handeln könnte, ist im Moment genauso unklar wie die gesamte Dauer des Verfahrens um die 155 Rinder aus Todesfelde.