Immer wieder muss die Polizei im Henstedt-Ulzburger Gewerbegebiet einschreiten. Das Abendblatt war dabei. Auf Nachtschicht mit zwei Beamten

Schreiend hängt der junge Mann über dem Gitter am Eingangsbereich der Diskothek, zwei Türsteher drehen ihm den Arm auf den Rücken, seine Silberkette baumelt im Takt der Musik. Im Blut hat er 2,3 Promille Alkohol, lautstark schimpft er über Deutsche, Ausländer und Nazis. Weinige Sekunden zuvor soll er noch mit seiner Faust auf eine rosa LED-Lampe am Rand der Tanzfläche eingeschlagen haben.

Für Polizeihauptmeister Arnd Nickel, 32, und seinen Kollegen Phil Göhlert, 23, ist es nicht der erste Einsatz am Joy in dieser Nacht. Scharf bremst Nickel seinen Streifenwagen ab. „Hör auf zu zappeln, dann tut es auch nicht weh“, beruhigt er den Jugendlichen. Der reagiert mit kreativen Beleidigungen.

Wenig später haben Nickel und sein Kollege den Störenfried vom Hof gejagt. Was sie nicht ahnen: Die letzte Begegnung für diese Nacht wird es nicht gewesen sein.

Keine 50 Meter weiter, Abseits der Lichter der Disco, liegt der Budni-Markt. Hier schlugen vier Jugendliche Christian S. aus Kaltenkirchen nach einer Abiparty brutal zusammen, traten auf ihn ein – auch als er schon regungslos am Boden lag. Dass der 32-Jährige mit dem Leben davonkam, war Glück – tagelang bangte er um sein Augenlicht.

Auf den Tag genau drei Wochen ist das an diesem Freitagabend her, im Joy denkt unterdessen keiner mehr an die Attacke. Dort herrscht stattdessen Alarmstufe eins: „Level On€“ ist das Motto – jeden Longdrink, jeden Schnaps gibt es für einen Euro. Die Gäste hoffen auf die „absolute Gönnung“ – Arnd Nickel und Phil Göhlert dagegen auf eine ruhige Nachtschicht.

Seit 15 Jahren fährt Nickel bereits Streife in Henstedt-Ulzburg, gerne auch nachts und am Wochenende. Stets im Mittelpunkt stehen dann das Joy und der Gewerbepark, durch den die Feierwütigen vom AKN-Bahnhof aus zur Diskothek und wieder zurück gelangen. Dort kommt es immer wieder zu Prügeleien und Attacken. 2010 wurden 42 Personen willkürlich überfallen, in keinem Fall kannten sich Täter und Opfer vorher. Seitdem ist die Zahl der Attacken wieder zurückgegangen, einzelne Gewaltexzesse kommen aber immer wieder vor. „An den vergangenen beiden Wochenenden hatten wir genau einen Einsatz beim Joy“, sagt Nickel. Er hält das Gebiet für nicht besonders unsicher.

„Wenn junge Menschen mit viel Alkohol feiern, passiert immer irgendetwas. Je später der Abend, desto voller sind die Leute und desto mehr Gewalt gibt es auch.“ Teilweise reiche schon ein falscher Blick.

Mittlerweile ist es kurz vor 10 Uhr, das Joy öffnet in einigen Minuten. In einem engen Büro, nur durch eine dünne Wand von der Cocktailbar getrennt, beobachten die beiden Betreiber des Joy die Szenerie auf ihren Überwachungsbildschirmen. Eric David und Kai Lorenz kennen die Beamten von der Wache gut. Es gibt eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei, die Türsteher informieren die Polizei sofort, falls ein Gast auffällig wird. „Das Problem“, sagt Nickel „sind die Leute, die rausfliegen oder gleich an der Tür abgewiesen werden. Die streunen dann im Gewerbepark umher, sind frustriert und machen Ärger.“

Bis es im Joy so richtig losgeht, schauen Göhlert und Nickel im Bürgerpark nach dem Rechten. Im Pavillon feiern drei Jugendliche mit Kopfhörern eine kleine Privatparty. Einen von ihnen hat Nickel Wochen vorher mit Drogen erwischt, diesmal ist er schlauer: „Nach Henstedt-Ulzburg bringe ich schon gar nichts mehr mit.“

Dann muss es plötzlich ganz schnell gehen. Göhlert und sein Kollege werden über Funk zum Billard-Café gerufen. Nickel sitzt grundsätzlich selbst am Steuer und fühlt sich auch bei Tempo 120 in Kurven noch relativ wohl. Jetzt schaltet er das Blaulicht ein und gibt Gas. In der Küche der Kneipe sitzt ein junger Mann mit fantastischer Laune – einziger Schönheitsfehler: Seine rechte Wange ist aufgeschlitzt, Ergebnis eines Schlags mit einer Bierknolle.

Euphorisiert reißt der Mann seine Arme hoch: „Das ist der Jugo-Hammer!“

Die restlichen Gäste stört das herzlich wenig. Der DJ feiert sich und ein Lied von Katy Perry, in der Ecke knutscht ein junges Paar. Während Phil Göhlert noch von einem betrunkenen Zeugen wissen will, wer wen zuerst geschubst hat, ist der Täter schon gefasst. Einer der beiden Belgischen Schäferhunde, die heute mit ihren Herrchen im Dienst sind, hat ihn geschnappt.

Im Joy kocht unterdessen die Stimmung. Alina und Julia geben auf dem Podest im Erdgeschoss alles: „Willst du mit mir Drogen nehmen? Dann wird es rote Rose regnen“, dröhnt es aus den Boxen. „Komm wir gehen, komm wir gehen zusammen den Bach runter.“

Nicht so sehr für die Musik interessiert sich ein kräftiger junger Mann mit kurz geschorenen Haaren. Liebevoll nimmt er an einer Maschine maß, an der er einen Punchingball mit möglichst viel Kraft zurückdreschen muss. Zweimal setzt er an, dreht prüfend die Faust – rumms: 976 Punkte, neuer Rekord. Euphorisiert reißt der junge Mann seine Arme in die Höhe: „Das ist der Jugo-Hammer!“

Draußen vor der Tür gibt es Minuten später wieder Stress: Die Türsteher haben eine Schlägerei bei der Cocktailbar beendet, die Polizei ist schon vor Ort bevor sie gerufen werden kann. Göhlert und Nickel legen einem der Beteiligten gerade Handschellen an, da gesellt sich ein alter Bekannter zu ihnen. Der Rentner sammelt rund ums Joy seit Jahren die Plastikflaschen, jedes Wochenende erlebt er die Alkoholexzesse mit. Von der zunehmenden Gewaltbereitschaft ist der alte Mann erschüttert: „Es gibt heute keine Fairness mehr im Kampf. Wenn jemand auf dem Boden lag, war früher Schluss – das war eine Frage der Ehre. Heute treten die Jugendlichen weiter zu.“

Während sich Nickel und Göhlert noch vom Mann in Handschellen beleidigen lassen müssen, hält sich der junge Finn Hennings die blutende Nase. „Ich habe aus Versehen jemanden beim Rausgehen angerempelt. Der hat dann direkt zugeschlagen“, sagt er konsterniert. Sein Kumpel ergänzt: „Ich habe hier schon vergangene Woche eine Kopfnuss bekommen. Die Türsteher tun, was sie können, aber die Polizei sollte mehr Präsenz zeigen.“ Arnd Nickel kann diese Forderungen verstehen, sagt aber auch: „Wir können nicht überall sein. Auch ein privater Sicherheitsdienst und Taxigutscheine würden nur bedingt helfen.“ Letztendlich sei das Problem ein gesellschaftliches. „Hier sehe ich auch die Eltern in der Pflicht.“

Es ist bereits 3.40 Uhr, als Phil Göhlert plötzlich drei Schatten im Eingangsbereich des Automaten-Casinos bemerkt. Zwei der Männer flüchten in das Gebäude und laufen die Treppe hoch. Dann stellt sich heraus: Einer von ihnen ist derjenige, der die LED-Leuchte im Joy zerstört haben soll. Eingebrochen sind die drei Hamburger nicht, aggressiv werden sie trotzdem.

Was folgt ist ein Katz-und-Maus-Spiel im Gewerbepark. Nickel verteilt Platzverweise, die Jugendlichen ziehen sich in die nächste dunkle Ecke zurück. Schließlich hat er die Faxen dicke. Mit all seiner Erfahrung greift Nickel zur Ultima Ratio: Kurzerhand stoppt er den Nachtbus in Richtung Norderstedt und befördert die Jugendlichen eigenhändig hinein.

„Genau solche Leute sind das Problem, die schlagen am Ende die normalen Gäste zusammen“, sagt er. Das scheinen am Ende selbst die Störenfriede einzusehen. „Guten Abend“, begrüßen sie den Busfahrer, „wir sind Kriminelle – aber das macht ja nichts.“