Doping: Drei ehemalige Spitzenathleten aus dem Kreis Segeberg berichten, wie es vor 40 Jahren wirklich war.

Norderstedt. Was haben der Jamaikaner Usain Bolt, der gazellengleich über die Tartanbahn sprintet, und David Storl, das deutsche Kraftpaket, gemeinsam? Optisch überhaupt nichts. Aber: Beide sind überragende Leichtathleten, gewannen bei der Weltmeisterschaft in Moskau Gold - Bolt über 100 und 200 Meter sowie mit der 4 x100-Meter-Staffel, Storl im Kugelstoßen. Und beide müssen damit leben, dass ihre Erfolge von der Öffentlichkeit skeptisch beäugt werden.

Die kürzlich veröffentlichte Studie zum Doping in Westdeutschland in den 60er- und 70er-Jahren hat den Glauben an Spitzensport ohne leistungsfördernde Substanzen erneut erschüttert. West - talentiert, trainingsfleißig, willensstark - gegen Ost - erbarmungslos medaillenorientiert und anabolikagesteuert: Dieses Klischee lässt sich so wohl nicht mehr aufrechterhalten.

Doch wie war das eigentlich in der scheinbar guten alten Zeit? Das Abendblatt hat mit drei Leichtathleten aus dem Kreis Segeberg gesprochen, die einst zur deutschen Elite gehörten.

Reinhard Vogt, 66, der am 17. Juni 1972 mit 18,51 Metern den heute noch gültigen Hamburger Rekord im Kugelstoßen aufgestellt hat, ist erfrischend ehrlich. Er schwadroniert nicht über Zahnpasta (wie Mittelstreckenläufer Dieter Baumann), vertauschte Trinkflaschen (Sprinter Ben Johnson) oder Vitaminspritzen (Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer) - er redet Klartext.

"Ja, ich habe zu Beginn der 70er-Jahre Dianabol genommen, um meine Leistung zu steigern", gibt der Vater von Drittliga-Handballspielerin Christina Vogt (SV Henstedt-Ulzburg) zu. Im Vergleich zu anderen Schwerathleten allerdings in einer homöopathisch anmutenden Dosierung. "Eine halbe Tablette am Tag", erinnert sich Vogt, "die absoluten Spitzenathleten waren weniger zurückhaltend, die haben täglich zehn Stück geschluckt."

Auf den Geschmack kamen die muskelbepackten deutschen Jungs, nachdem einer ihrer Kollegen bei einem Trainingslager in den USA erstmals Bekanntschaft mit dem anabolen Steroid gemacht hatte. "Da wurde das Dianabol in der Mensa zum Essen in Plastikschüsselchen angeboten", so Reinhard Vogt. Der erhoffte Effekt ließ nicht lange auf sich warten: der Sportkamerad, dessen Namen der Schulleiter im Ruhestand nicht nennen möchte, konnte seine Bestweite deutlich verbessern. Kein Wunder also, dass er in der Heimat schnell Nachahmer fand.

Vogt hatte bald genug von den Pillen

Vogt, der zweimal deutscher Vizemeister in der Halle war und sich ebenfalls klar steigerte, hatte allerdings schon bald genug von den Pillen, die sich unter der Hand besorgen ließen. Nach einer Schulterverletzung, die ihn die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in München kostete, waren seine Konkurrenten leistungsmäßig so weit enteilt, dass er sich fortan lieber auf seinen Beruf als Lehrer konzentrierte und eine Familie gründete. Dass David Storl ein böser Bube ist, glaubt Reinhard Vogt übrigens nicht. "Der Junge ist ein Ausnahmetalent und wird so häufig kontrolliert dass bei ihm eigentlich kein Doping im Spiel sein kann. Wenn er ein Kugelstoßer aus der Ukraine wäre, würde ich mir allerdings ein wenig Sorgen machen."

Manon und Jochen Eigenherr siegten ohne Dopingmittel

Beide gehörten in den 60er-Jahren zu den besten Leichtathleten in Deutschland. Joachim Eigenherr und seine Ehefrau Manon waren Teilnehmer der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko City - nach eigenen Aussagen erreichten sie ihre Bestleistungen ohne Dopingmittel. Joachim Eigenherr, 66, stand im Olympischen Finale des 200-Meter-Laufs und im Finale der 4 x100-Meter Sprintstaffel. Manon, 63, die damals noch Bornholdt hieß, wurde Olympiafünfte im Fünfkampf. Mit ihren gerade 18 Jahren hatte sie nur mit einer Sondergenehmigung an den Olympischen Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Beide verliebten sich während der Spiele in Mexiko City ineinander.

Doping sei in den 60er-Jahren noch kein wirkliches Thema gewesen, erinnert sich Joachim Eigenherr. "Es wurde zwar davon gemunkelt, man hörte hier und da von Athleten, die bei Ärzten gewesen sein sollten, aber so richtig wurde es erst Anfang der 70er-Jahre zum Thema." Er glaubt auch nicht, dass die herausragenden 200-Meter-Läufer der Spiele, Tommie Smith, John Carlos und der Australier Peter Norman, gedopt waren.

1970 zog Ommer plötzlich an Eigenherr vorbei

Manfred Ommer, der die Doping-Debatte in den letzten Wochen durch verschiedene Interviews ins Rollen gebracht hat, gehörte damals zu den härtesten Konkurrenten des Sprinters Eigenherr, der die meisten Rennen gewann. Der Zahnarzt im Ruhestand erinnert sich: "Es muss so 1970 oder 1971 gewesen sein, als Ommer plötzlich an mir vorbei zog." Bei ihm kam es dann zu dieser Erkenntnis: "Ich war bei den Deutschen Meisterschaften offenbar der schnellste ungedopte Athlet."

1970 wurde er zum letzten Mal Deutscher Meister im 200-Meter-Lauf. Danach setzte er sich ein besonderes Ziel: Er wollte ohne Doping so stark bleiben, dass er 1972 bei den Olympischen Spielen in München teilnehmen konnte. Er schaffte es nicht und hörte mit dem Leistungssport auf. Joachim Eigenherr sieht die Äußerungen von Manfred Ommer kritisch: "Einen solchen Rundumschlag hat der deutsche Sport nicht verdient." Für das damalige Jugendidol Manon Bornholdt und Joachim Eigenherr wurde 1972 übrigens dennoch zu einem besonderen Jahr: Sie heirateten und zogen nach Klein Rönnau.

Für Manon Eigenherr war Doping 1968 ebenfalls kein Thema. "Das war damals für mich als 18 Jahre alte Athletin nicht erkennbar, sollte gedopt worden sein, so habe ich es nicht mitbekommen." Etwa 1970 sei es dann losgegangen - aber nicht für sie. "Das Thema war für mich tabu, ich hätte viel zu viel Angst gehabt, irgendwelche Mittel zu nehmen." Obwohl sie erst am Anfang einer aussichtsreichen Sportkarriere stand, gab sie genau wie ihr späterer Mann den Leistungssport noch vor den Olympischen Spielen in München auf, beendete ihr Studium und wurde schließlich Grundschullehrerin im Kreis Segeberg.

Das Ehepaar hat zwei erwachsene Töchter und lebte bis vor zwei Jahren in einem Reetdachhaus in Klein Rönnau. Jetzt wohnt es in Lübeck-Travemünde. Joachim Eigenherr hatte eine Zahnarztpraxis in Bad Segeberg, wo seine Frau Manon einst das Abitur an der Dahlmann-Schule machte.