Betreut vom Pflegestützpunkt treffen sich dort jeden Montag Demenzkranke.“Immer eine schöne Abwechslung“, findet die 76-Jährige.

Norderstedt. „Das ist immer eine schöne Abwechslung", sagt Ursel Stock jedes Mal, bevor sie zu ihrem "Seniorencafé" geht. Vor dem großen Spiegel im Flur bürstet sich die 76-Jährige die Haare hübsch. Gleich kommt der Taxifahrer, der sie und die anderen Teilnehmer zur Paul-Gerhard-Kirche fährt. Ursel Stock freut sich, dass fast immer derselbe Fahrer sie zum Auto begleitet und ihr die Tür aufhält. Ein Fremder an der Tür würde sie verunsichern. Die Norderstedterin braucht Vertrautheit und Rituale in einer Welt, die sie nur noch in zwei Varianten kennt: Die Vergangenheit und das Hier und Jetzt. Dazwischen geht Vieles verloren. Ursel Stock leidet unter Demenz.

"Alle sind hier sehr nett", sagt die freundlich lächelnde Rentnerin, als sie gemeinsam mit den anderen sieben Gästen den Raum im Gemeindehaus betritt. Wie jedes Mal haben die ehrenamtlichen Helferinnen des Pflegestützpunktes im Kreis Segeberg den Tisch gedeckt. Kaffee und Kuchen stehen bereit - wie jeden Montag um 14.30 Uhr.

"Betreuungsgruppe für Menschen mit einer Demenzerkrankung" lautet der offizielle Name der Gruppe, doch diese Bezeichnung kennt die Runde nicht. "Seniorencafé" klingt angenehmer. Am Tisch geht es heiter zu. Ein Laie würde auf den ersten Blick nicht einmal erkennen, dass er Kranke vor sich hat.

Auch Sally ist stets dabei. Die ergraute Hundedame schleicht um die alten Menschen herum. Irgendwo kann sie sich immer eine Streicheleinheit abholen. Sally gehört dazu wie der Kuchen und die Gespräch. Als Ursel Stock vor knapp zwei Jahren zum ersten Mal ihren Seniorentreff besuchte, gehört der Hund schon dazu. Sally bellt nie. Sie freut sich über den Kontakt mit den alten Menschen. Nur Kuchen darf sie nicht essen. Der Hund wird immer dicker, ist alt und ein bisschen krank.

"Wir versuchen, hier eine Atmosphäre der Vertrautheit zu schaffen", sagt Sallys Frauchen, Ulrike Fust. Die Pinneberger Familienpflegerin leitet unterstützt von den ehrenamtlichen Helfern die Gruppe. "Toll, dass sie alle da sind!", sagt Ulrike Fust, als sich die Damen und Herren gesetzt haben. Je nach dem Schweregrad der Erkrankung ist die intellektuelle Leistungsfähigkeit eines Betroffenen eingeschränkt. Gefühle und Stimmungen empfinden sie stärker als ein gesunder Mensch. Darum legen Ulrike Fust und ihre Helferinnen großen Wert auf eine entspannte Stimmung und eine freundliche Begegnung.

Ursel Stock liebt Hunde. Das spürt Sally und setzt sich oft neben die alte Dame. Auch zuhause lebt die 76-Jährige mit zwei Hunden, die zum Haushalt ihrer Tochter Dorothee und ihres Mannes gehören. Die kleine Joey lässt Fremde nicht an sich heran, aber sie beschützt Ursel Stock, wann immer sie es für notwendig hält.

Ursel Stock kam in Barmbek zur Welt und zog 1972 nach Norderstedt. Sie erzählt, dass sie früher begeistert Handball gespielt hat und Chefin eines Eiscafés an der Segeberger Chaussee war, das sie nach ihrer Tochter benannte: "Eiscafé Dorothee". Was Ursel Stock heute zum Mittag gegessen hat, weiß sie jedoch nicht mehr. Sie hat es vergessen und ein Besucher sollte die alte Dame auch nicht danach fragen, um sie nicht zu verunsichern und zu überfordern.

Seit zwei Jahren lebt Ursel Stock bei ihrer Tochter Dorothee, die eine Schulung für Angehörige Demenzkranker beim Pflegestützpunkt absolviert hat. "Es findet ein Rollenwechsel statt", sagt die Tochter. "Meine Mutter ist und bleibt ein liebenswerter und fürsorglicher Mensch, aber ich kann sie nicht mehr um Rat fragen." Dass ihre Mutter die Gruppe und zwei Mal pro Woche zur Tagespflege geht, bedeutet für die Tochter eine Entlastung. "Und für meine Mutter zählt der schöne Moment."

Zu den Helfern in der Runde gehört die 70-jährige Gisela Herda. "Ich wollte was mit Menschen machen", sagt die ehemalige Krankenschwester über ihre Motive, sich ehrenamtlich für Demenzkranke zu engagieren. Sie will, dass ihre Gäste einen schönen Nachmittag erleben. Früher hat sie auch Demenzkranke zuhause betreut. "Ich freue mich, wenn jeder zufrieden nach Hause geht", sagt Gisela Herda.

Ulrike Fust liest vor: Ringelnatz, die Promi-Nachrichten aus dem Hamburger Abendblatt mit den Geschichten von Königin Beatrix, die ihren 75. Geburtstag feiert, und von Roy Black, der 70 geworden wäre. An seinen Hit "Ganz in weiß" können sich alle erinnern. Einige summen. Ulrike Fust hat gehört, dass Herr Schulze demnächst mit seiner Frau auf Kreuzfahrt geht - nach Norwegen. Gern erzählt er von seinen früheren Reisen. "Die Menschen und die Natur" - das hat ihm damals gefallen. Herr Schlüter erzählt von seinem Hobby: der Arbeit. Alle lachen. Eine fröhliche Runde sitzt hier zusammen Ulrike Fust achtet darauf, das jeder Gast an dem Gespräch teilnimmt. "Der Austausch mit den anderen ist sehr schön", sagt Ursel Stock und streichelt Sally: "Du bist die Schönste hier."

Nach Kaffee und Kuchen bricht die Gruppe zu einem kleinen Spaziergang auf. Sally schreitet voran. Herr Schlüter zeigt einer Dame mit einer Warze an der Hand, wo er das Schöllkraut im Grünen entdeckt hat. Er weiß noch genau: Das Kraut hilft gegen die Wucherung.

Angekommen im Gemeindehaus setzen Ulrike Fust und die ehrenamtliche Helfer das Programm fort. Die Gruppe lässt einen Ballon kreisen, spielt eine Variante von Stadt, Land, Fluss. Ursel Stock liebt auch die Gesänge. Um 17.30 Uhr steht das Taxi vor der Tür. "Das war sehr schön", sagt Ursel Stock zu ihrer Tochter Dorothee, als der Fahrer sie zur Haustür bringt. Sie ist erschöpft. Welche Lieder Ursel Stock gesungen hat und wohin Herr Schulze in den Urlaub fährt, weiß sie nicht mehr. Aber es ging ja auch darum, schöne Momente zu erleben.