In unserer Firmenserie “Fit in die Zukunft“ stellen wir Ihnen heute die Henstedt-Ulzburger Firma Marangoni Retreading Systems vor.

Henstedt-Ulzburg. Langsam schwebt die Lufthansa Boeing 747-400 über der Ohechaussee in Norderstedt und nähert sich dem Flughafen Fuhlsbüttel. Nur noch Sekunden bis zur Landung. Jetzt setzt der mächtige Jumbojet auf. Die Reifen qualmen, sie malen schwarze Streifen abgeriebenen Gummis auf die Piste. Der Verschleiß ist gewaltig, denn innerhalb von Sekunden werden Reifen aus dem Stillstand auf mehr als 1000 Drehungen pro Minute beschleunigt.

Eine solche Belastung halten auch Spitzen-Pneus von Firmen wie Michelin, Goodyear, Pirelli oder Bridgestone nicht auf Dauer aus. Nach spätestens 180 Starts und Landungen werden die Laufflächen der Reifen runderneuert. Dieser Vorgang kann im Leben eines Flugzeuges bis zu zehnmal wiederholt werden.

Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz im italienischen Verona

Beim Thema Reifenrunderneuerung spielt der italienische Konzern Marangoni Retreading Systems GmbH weltweit eine große Rolle. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Verona und Produktionsstätten unter anderem in Ferentino sowie in Brasilien (Belo Horizonte) und in den Vereinigten Staaten (Nashville) beherrscht in Europa nahezu 30 Prozent des Marktes. Heute werden unter Verwendung von Synthetik- und Naturkautschuk, das aus Malaysia, Vietnam, Indonesien und Westafrika stammt, jährlich zwei Millionen Reifen runderneuert.

Einen großen Anteil am kontinuierlichen Aufstieg des Unternehmens besitzt die Produktionsstätte in Henstedt-Ulzburg: Marangoni Retreading Systems Deutschland. Die Traditionsfirma produziert zu 95 Prozent Ringlaufflächen für Kunden in Europa und erwirtschaftet so einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro.

Alles begann im Jahr 1919. Heinrich Ellerbrock gründete in Altona mit der Herstellung von Gummierzeugnissen seinen ersten Betrieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Rohstoffe äußerst knapp waren, hatte er Glück: Die britischen Besatzungstruppen halfen ihm mit Rohstoffen für Reifenrunderneuerungen aus.

Das war die Zeit, als man erkannte, dass ein gebrauchter Reifen nicht als Abfall, sondern als wertvolle Ressource anzusehen ist. "Wir sind in der Lage, dem runderneuerten Reifen Zuverlässigkeit, Lebensdauer und Leistung zu verleihen, so wie wir es von neuen Reifen kennen", sagt Matthias Leppert, 52.

Seit 17 Jahren arbeitet er für das Unternehmen, heute ist er Managing Director und Platzhalter von Marangoni in Henstedt-Ulzburg. "Wir sind ökologisch aufgestellt, wir sorgen dafür, dass Reifen nicht weggeworfen oder verbrannt werden, sondern ein zweites Leben auf der Straße haben", sagt der Geschäftsführer Technik.

Unvergessen bleiben die Brände in den Jahren 2003 und 2008

Etliche unter den 110 Mitarbeitern in Henstedt-Ulzburg sind länger als 30 Jahre bei Ellerbrock, sie waren schon dabei, als die Gründerfirma und Marangoni 1990 fusionierten. Seit dem 1. September 2011 ist Marangoni alleiniger Namensträger.

Marangoni produziert nicht nur Gummiprofile zur Runderneuerung von Reifen für Fluglinien, sondern vorwiegend Materialien für Nutzfahrzeuge. Lkw-Reifen können zwei- bis dreimal runderneuert werden, ohne dass sie an Qualität verlieren. Besonders Spediteure mit großen Fuhrparks können so ihre Kosten reduzieren.

Unvergessen bleiben den Mitarbeitern am Standort Henstedt-Ulzburg die verheerenden Brände von 2003 und 2008, die das Unternehmen in große Bedrängnis brachten. Die Produktion musste vorübergehend eingestellt werden. "Das konnten wir nur schwer verkraften", sagt Diplomingenieur Leppert. "Wir liefen ständig Gefahr, unsere Kunden zu verlieren."

Der zweifache Familienvater aus Henstedt-Ulzburg erinnert sich: "Um 2.30 Uhr nachts wurde ich alarmiert. Schon auf dem Weg zur Firma sah ich den Feuerschein am Himmel. Als ich den Brandort zeitgleich mit zwei Löschfahrzeugen erreichte, war schon nichts mehr zu retten. Die 6000 Quadratmeter große Produktionshalle stand in Flammen. Das Chaos war perfekt."

Regine Barke, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und seit 14 Jahren im Betrieb, berichtet: "Ich hatte die Nachricht im Radio gehört und fuhr zur Firma. Viele Mitarbeiter weinten. 'Dort brennt unser Arbeitsplatz ab', klagten sie. Ich bekam später eine Gänsehaut, als ich erfuhr, dass die Kinder von Firmenangehörigen im Kindergarten brennende Häuser malten."

Aber irgendwann wurde die Stimmung besser: Die Stammbesetzung blieb, viele Mitarbeiter packten in dem ausgebrannten Gebäude in der Straße Immenhacken tüchtig mit an, andere wurden für ein Jahr ins Hauptwerk nach Italien geschickt.

"Es war sehr schwierig, die Kundschaft zu halten, aber wir wollten unter allen Umständen weitermachen", sagt Matthias Leppert. "Es wurde schnell klar, dass nicht in Standorte in Tschechien oder anderen Länder investiert wird, sondern hier. So konnten wir überstehen." Auch das Feuer fünf Jahre später, bei dem die Mischerei abbrannte, stellte Polizei und Versicherung vor viele Rätsel. War es Brandstiftung? Die Brandursache ist immer noch unklar.

Das Werk in Henstedt-Ulzburg ist eines der modernsten in Europa

Nach dem Wiederaufbau wurde das Unternehmen zu einem der modernsten Werke für die Produktion von Runderneuerungsmaterialien in Europa. Heute können in Henstedt-Ulzburg Herstellungsvorgänge und Materialflüsse nach den fortschrittlichsten Technologien ausgeführt werden.

Möglich wurde das durch die Installation einer modernen, zwei Millionen Euro teuren Ringtread-Produktionslinie. Das vollautomatisierte, computergesteuerte Produktionssystem, das aus vier Schritten besteht (Inspektion, Rauung, Reparatur, Aufbau und Vulkanisation) ist das Spitzenprodukt des Sortiments. "So können wir in der Runderneuerungs-Branche auch künftig erfolgreich bestehen", sagt Matthias Leppert.