Per Mausklick können die Beschäftigten der Job-Center einen Alarm auslösen. Der Mord an einer Kollegin hat sie verunsichert.

Norderstedt. Ganz unscheinbar versteckt es sich auf dem Bildschirm, es kann aber lebenswichtig werden: Das Alarm-Symbol auf dem PC-Monitor, das die Mitarbeiter der Job-Center im Kreis Segeberg anklicken oder mit einem speziellen Tastengriff aktivieren können, wenn sie sich bedroht fühlen "Natürlich ist die Verunsicherung nach der Messerattacke in Neuss, bei der eine Mitarbeiterin sterben musste, auch bei uns zu spüren", sagt Michael Knapp, Geschäftsführer der Job-Center in Norderstedt, Kaltenkirchen und Bad Segeberg,

Die Beschäftigten im Kreis Segeberg drücken ihr Mitgefühl aus

Die Mitarbeiter wollten nicht kommentarlos zum Arbeitsalltag zurückkehren. "Die Beschäftigten sind tief betroffen von den Ereignissen im Jobcenter Neuss. Unser Mitgefühl und Anteilnahme gilt den Angehörigen des Opfers und den Kolleginnen und Kollegen in Neuss", heißt es auf der Internetseite. 190 Männer, vor allem aber Frauen, versuchen in den drei Einrichtungen, Arbeitslose wieder ins Berufsleben zu integrieren oder sprechen mit ihnen über die finanziellen Leistungen, die sie bekommen oder eben auch nicht.

"Da entstehen problematische Situationen, wenn eine Sachbearbeiterin einem Betroffenen erklären muss, dass er weniger Geld bekommt. Die Menschen, die wir betreuen, leben meist in existenziellen Notlagen und oft an der psychischen Belastungsgrenze. Und da kann jede Kürzung, die gesetzlich vorgeschrieben ist und die wir umsetzen müssen, das Fass zum Überlaufen bringen", sagt Knapp. Die Gesetzeslage sei kompliziert und schwer zu durchschauen, das provoziere Wut und Verzweiflung. Wenn es um die Existenz gehe, seien Kurzschlusshandlungen kaum vorhersehbar.

Bundesweit nehmen die Angriffe auf Beschäftigte in den Job-Centern zu, stellt die Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen fest. Bisher sei es aber in den Anlaufstellen für Arbeitslose im nördlichen Hamburger Umland glücklicherweise noch nicht zu solchen Attacken gekommen wie in Neuss, aber: "Ausschließen können wir das grundsätzlich nicht, so etwas kann überall passieren", sagt Knapp.

Die weitaus meisten Kunden seien friedlich, es gebe keine Probleme. "Schwierig kann es werden, wenn eine Mitarbeiterin, und wir beschäftigen ja überwiegend Frauen, einem türkischen Mann etwas erklären muss. Türken lassen sich von Frauen nicht so gern etwa sagen", sagt Titus Keller, Teamleiter im Job-Center Norderstedt.

Die Situation entspannen, sachlich bleiben, die Ruhe bewahren

Die Mitarbeiter lernen. Auch bei anderen provoziere die Kürzung von Leistungen mal Aggressionen, entlade sich der Ärger, indem die Betroffenen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschimpften und beleidigten. "Solchen Ausfällen begegnen wir zuallererst mit Professionalität", sagt der Leiter der regionalen Job-Center. Die Beschäftigten würden regelmäßig geschult, lernten Gesprächstechniken, mit denen sie deeskalierend auf ihre Kunden einwirken können. Sachlich bleiben, die Ruhe bewahren, darum gehe es vor allem.

Doch die Behörden vertrauen nicht nur auf die richtige Wortwahl und entsprechendes Verhalten. Sie sind für den Notfall gewappnet, die Beschäftigten können gleich auf ein Bündel von Maßnahmen zurückgreifen, wenn das Gespräch aus dem Ruder läuft. Jedes Zimmer habe, so Knapp, zwei Türen, eine diene als Fluchttür. Auf den Schreibtischen stehen keine massiven Gegenstände, die sich eventuell als Waffe für aufgebrachte Besucher eignen. Ist die Flucht nicht mehr möglich, kann die Mitarbeiterin per Mausklick oder mit einem besonderen Griff auf der Tastatur das Alarm-Symbol auf dem PC-Monitor aktivieren. "Davon bekommt der Kunde nichts mit, in den Nebenzimmern blinkt aber in großen roten Buchstaben das Wort Alarm, das niemand übersehen kann", sagt Knapp.

Dann seien vor allem die Männer im Team gefordert. Die würden sofort starten, um der Kollegin zu helfen. Kunden, die zu aggressiven Reaktionen neigen, werden mit einem Hausverbot belegt, müssen sich anmelden, wenn sie mit ihrem Sachbearbeiter oder mit ihrer Sachbearbeiterin sprechen wollen. In diesen Fällen wird das Vier-Augen-Prinzip durchbrochen, sitzt eine zweite Person mit im Zimmer.

Erst vor kurzem hat ein Kunde seinem Ärger gewaltsam Luft gemacht. "Er hat die Mitarbeiterin massiv bedroht, das Telefon runtergeschmissen und von außen noch einen Stein gegen die Tür geworfen", sagt Knapp. Das Team entschloss sich, einen Sicherheitsdienst einzuschalten. Schließlich sei sonst nicht zu verhindern, dass der verärgerte Kunde trotz Hausverbots reinstürme und eventuell handgreiflich wird oder gar zu Waffen greift.

Es geht darum, Vertrauen aufzubauen, das kann aber nur eine offene Behörde

"Solche Vorfälle sind die absolute Ausnahme, in den letzten Jahren gab es nicht mal 20", sagt Knapp. Auch im jüngsten Fall sei die Kooperation mit den Sicherheitsleuten nach zwei Wochen beendet worden. In sozialen Brennpunkten sind Wachdienste in und vor Job-Centern zwar eine Dauereinrichtung, der Kreis Segeberg zähle aber nicht dazu. Auch andere Schutzmaßnahmen wie Sicherheitsglas oder eine Videoüberwachung lehnt Knapp ab: "Solche Maßnahmen würden eher eine Situation schaffen, die durch Misstrauen gekennzeichnet ist. Uns geht es aber gerade darum, Vertrauen aufzubauen. Um eine solche Atmosphäre zu schaffen, müssen wir aber eine offene Behörde sein", sagt Knapp.