Beratungsstelle Pro Familia scheitert im Sozialausschuss mit ihrem Antrag auf eine Übernahme der Verhütungskosten für arme Menschen.

Kreis Segeberg. Es ist eine echte Marathonsitzung im Segeberger Kreissaal, und am Ende wird das beschlossen, was Sabine Kühl befürchtet hat: Der Kreis wird armen Menschen ab 20 Jahren nicht die Verhütungsmittel bezahlen. Gelten sollte dies für Sozialhilfeempfänger und Menschen, die BAföG oder Berufsausbildungshilfe empfangen, sowie Menschen mit vergleichbar niedrigem Einkommen. Für unter 20-Jährige werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen.

Selbst die Vorsitzende findet den Antrag sinnvoll

Damit scheiterte die Leiterin der Beratungsstelle Pro Familia in Norderstedt mit ihrem Antrag, für den es nicht nur aus ihrer Sicht gute Gründe gibt: Selbst die Vorsitzende des Kreissozialausschusses, Jutta Altenhöner, hatte kurz vor der Ablehnung der Kostenübernahme "inhaltlich nichts gegen den Antrag einzuwenden". Allein, es fehlt an Geld. Mit 76,7 Millionen Euro ist der Kreis verschuldet, nach diesem Haushaltsjahr werden es noch einmal 4,1 Millionen mehr sein. Die geschätzten 20 000 Euro pro Jahr für die Verhütungsmittel sind da zwar vergleichsweise wenig, sind aber nach Meinung des Sozialausschusses trotzdem nicht finanzierbar.

"Schade und bitter", findet das Sabine Kühl. Mindestens einmal in der Woche berät sie meist junge Frauen, die verzweifelt sind, weil sie nicht genug Geld aufbringen können, um sich beispielsweise die Antibabypille leisten zu können. Die Folge sind oft nicht nur ungeplante, sondern auch ungewollte Kinder, die in ein schwieriges soziales Milieu hineingeboren werden, in dem die Bildungs- und Entwicklungschancen der Kinder ohnehin stark eingeschränkt sind.

In Flensburg, Lübeck, Geesthacht und Stormarn ist das Projekt erfolgreich

Die Idee für das Projekt ist nicht neu. Flensburg. Lübeck, Geesthacht und der Kreis Stormarn übernehmen bereits die Kosten. Vorausgesetzt die Antragsteller können nachweisen, dass die Kosten nicht von der Krankenkasse bezahlt werden. In Stormarn wird das Angebot bisher gut angenommen, der Bedarf steigt stetig. Waren es zu Beginn im Jahr 2010 nur 55 Antragsteller, sind in diesem Jahr bereits 125 Anträge eingegangen. Angesprochen sind nicht nur Frauen; auch die Sterilisation von Männern wird bezahlt.

Für Sabine Kühl ist die mehrheitliche Entscheidung des Sozialausschusses schlicht "kurzsichtig". Schließlich gehöre das Recht auf Verhütung zur Selbstbestimmung eines jeden Menschen und trage zu einem besseren sozialen Klima bei. Außerdem entstünden für den Kreis Segeberg durch ungewollte Schwangerschaften erhebliche Folgekosten, die so gedrückt werden könnten. Bis zur Volljährigkeit fielen demnach für ein Kind, das vom Staat unterstützt werden müsse, mindestens 42 000 Euro an.

Der gleichen Meinung ist Dagmar Höppner-Reher. Die Gleichstellungsbeauftragte hatte in der Sitzung von ihrem Rederecht Gebrauch gemacht und versucht, die Beteiligten umzustimmen. "Im Hartz-IV-Satz sind für den gesamten Bereich Gesundheit 15,55 Euro pro Monat eingeplant", sagt sie. "Das ist aus meiner Sicht viel zu wenig. Schon bei einem einmaligen Arztbesuch fallen nicht nur die Kosten für die Pille, sondern auch noch 10 Euro Praxisgebühr an. Verglichen mit den Folgekosten, sind 20 000 Euro im Jahr die deutlich günstigere Variante." Jahrelang war Höppner-Reher selbst in einem Jobcenter tätig und kennt die Nöte der Betroffenen.

Besser Verhütungsmittel als die Zigarette danach

Dass er die Sorgen von Hartz-IV-Empfängern kennt, glaubt auch Dr. Jörg Seeger (FDP). In der Sitzung rechnete er die Ausgaben der seiner Meinung nach meist rauchenden Arbeitslosen für Zigaretten hoch - vergaß dabei auch die Zigarette nach dem Sex nicht - und verglich sie mit den Ausgaben für Verhütungsmittel. Seine Schlussfolgerung: Lieber auf Zigaretten verzichten und von dem gesparten Geld die Verhütungskosten selbst bezahlen. Eine "makabere und polemische" Argumentation, die allerdings nicht selten ist"; sagt die Gleichstellungsbeauftragte.

Doris Grote (CDU) kritisierte zunächst die Ausgangszahlen von Pro Familia. Ihren Recherchen zufolge liegen die Kosten für "die Standard-Pille" bei 17 Euro, statt, wie von Pro Familia angegeben, bei durchschnittlich 35 Euro pro Quartal. Außerdem seien ja auch nicht alle Kinder von Sozialhilfeempfängern ungewollt, es gebe auch genug Frauen, die Kinder kriegen, um nicht arbeiten zu müssen.

Pro Familia will es in Norderstedt und Kaltenkirchen erneut versuchen

Aufgeben will Sabine Kühl aber nicht. Der Beschluss des Sozialausschusses ist für sie "eine Aufforderung zum Weitermachen". "Mit mehr Vorarbeit in den Fraktionen hätte es klappen können", sagt sie. Zukünftig plant Pro Familia Initiativen auf kommunaler Ebene, zum Beispiel in Kaltenkirchen und Norderstedt. Hoffnung macht ihr auch der letzte Satz im Beschluss des Sozialausschusses. Darin wird die Verwaltung beauftragt, die Landes- und Bundespolitik auf eine nötige bundesgesetzliche Regelung hinzuweisen.