Versicherungsmaklerin Thekla Jessen will vor dem Sozialgericht Lübeck Gründungszuschuss erstreiten - Behörden halten Fördermittel zurück.

Norderstedt. Thekla Jessen klagt vor dem Sozialgericht in Lübeck ein, was ihr vermeintlich zusteht: Zuschüsse für die Existenzgründung. Die Schmalfelderin hat sich als Versicherungsvermittlerin selbstständig gemacht und geht ihren Weg, obwohl sie bisher keinen Cent der Fördermittel gesehen hat, mit denen der Bund den Gründern den Start erleichtern will.

Sechs Monate lang gibt es das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld plus 300 Euro zur sozialen Absicherung, um beispielsweise Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu zahlen. 300 Euro pro Monat können auf Antrag weitere neun Monate gezahlt werden, das liegt im Ermessen der Arbeitsagentur. Hinzu kommt ein Zuschuss für das Gründer-Coaching, wenn der Schritt in die Selbstständigkeit aus Arbeitslosigkeit erfolgt. Maximal bekommen Gründer 90 Prozent der Kosten für eine professionelle Starthilfe. Das Geld fließt aber nur, wenn die Arbeitsagentur den Gründerzuschuss bewilligt hat.

Das trifft auf Thekla Jessen nicht zu, sie ist doppelt gestraft. Insgesamt muss die 49-Jährige auf mehr als 10.000 Euro verzichten. "Geld, das ich gut gebrauchen könnte, um Werbung in eigener Sache zu machen", sagt die künftige Versicherungsmaklerin, die sich inzwischen kompetenten Beistand geholt hat: Maren Bahde arbeitet in Norderstedt als akkreditierte Beraterin in der Beraterbörse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und kritisiert den defensiven Umgang der Arbeitsagenturen mit den Fördermitteln. "Für die Ablehnung verwenden die Arbeitsagenturen einen bundesweiten Einheitstext. Eine individuelle Prüfung ist nicht zu erkennen, sodass sich nicht nachvollziehen lässt, warum ein Antrag abgelehnt, ein anderer aber bewilligt wird", sagt die Beraterin. Damit werde der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.

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Die Bewilligungsbehörde verweist darauf, dass sie mit dem Geld der Steuerzahler sparsam und wirtschaftlich umgehen müsse. Und sie nennt eine wichtige gesetzliche Änderung: Seit diesem Jahr haben Gründer keinen Rechtsanspruch auf die Zuschüsse, die Bewilligung ist ins Ermessen der Arbeitsagentur gestellt. "Das darf aber nicht bedeuten, dass nun quasi im vorauseilenden Gehorsam so gut wie überhaupt keine Fördermittel mehr an Existenzgründer ausgezahlt werden. Auch Gründer haben meist jahrelang Versicherungsbeiträge gezahlt und somit einen Anspruch auf die Zuschüsse erworben", sagt Bahde, die fünf weitere Klagen vor dem Sozialgericht laufen hat.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte das Budget zum Jahreswechsel von 1,7 auf eine Milliarde gekürzt. Sie wollte Mitnahmeeffekte verhindern und nicht denjenigen Geld zukommen lassen, die sich mit kaum durchdachten und wenig Erfolg versprechenden Projekten noch schnell selbstständig machen, bevor das Arbeitslosengeld I ausläuft. "Dieses Ziel macht durchaus Sinn, nur verfolgen die Arbeitsagenturen jetzt einen derart restriktiven Kurs, dass die kaum noch Zuschüsse bewilligt werden", sagt die Gründer-Beraterin.

Joachim Kochanowski, der die Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer in Norderstedt leitet, bestätigt den Eindruck: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zuschuss gezahlt wird, ist deutlich gesunken." Im Juni wurden, so Bahde, bundesweit nur noch 900 Förderanträge bewilligt, im November 2011 waren es noch 18 000. Neun von zehn Gründungen würden nicht mehr gefördert. Das entlaste zwar den Bundeshaushalt, belaste aber das Gründerland Deutschland, das bei den Existenzgründern im europäischen Vergleich ohnehin hinterher hinkt.

Weiteres Gegenargument der Arbeitsagentur ist der Hinweis darauf, dass sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse Vorrang haben vor dem Weg in die Selbstständigkeit. Die zuständige Arbeitsvermittlerin habe Thekla Jessen entsprechende Jobs angeboten, aber: Der eine war eine unseriöse Beschäftigung bei einer Versicherung, ein zweiter eine Arbeit in einem Callcenter zu einem Stundenlohn, der weit unter dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn liegt.

Die angebotenen Stellen müssen von Gehalt und Fahrweg zumutbar sein

"Die Stellen müssen zumutbar sein. Das betrifft sowohl den Fahrweg als auch das Gehalt", sagt Maren Bahde, die ein weiteres Beispiel nennt: Mit dem Hinweis auf 200 freie Stellen habe die Arbeitsagentur auch den Gründerzuschuss für einen Handwerksmeister abgelehnt, der sich als Gas- und Wasserinstallateur selbstständig machen will. Von den 200 Stellen waren aber, so die Gründer-Beraterin, schon 138 bei Zeitarbeitsfirmen. "Und um als normaler Geselle mit unsicherer Zukunft zu arbeiten, muss niemand seinen Meister machen", sagt Bahde.

Eine Arbeitsvermittlerin war es allerdings auch, die Thekla Jessen die Selbstständigkeit schmackhaft gemacht hat. Sie habe im Außendienst gearbeitet, könne mit Menschen umgehen, und die Vermittlung von Versicherungen sei eine saubere, ordentliche Arbeit. Die gelernte Schriftsetzerin folgte dem Vorschlag. "Einfach rumsitzen und aufs Arbeitslosengeld warten will und kann ich nicht", sagt die Schmalfelderin, die sich schon mehrfach selbst aus brenzligen Situationen befreit hat. Nach der Scheidung übernahm sie das Handarbeitsgeschäft ihrer Mutter, doch die Einnahmen reichten nicht. Sie jobbte nebenbei als Verkäuferin, wurde arbeitslos, machte Telefonaquise für einen Dänen, der für die Kommunen Löcher im Asphalt stopfte, ehe auch hier Schluss war.

Der Business-Plan ist genehmigt, die IHK räumt dem Job gute Chancen ein

Sie hat sich über die Arbeit als Versicherungsvermittlerin informiert, ist mitgefahren auf Tour, hat sich das Unternehmen ausgesucht, mit dessen Produkten sie sich am besten identifizieren kann und hat den Einstellungstest bewältigt. Das nötige Wissen für die eigene Existenz wollte sie sich in einem zweiwöchigen Seminar für Existenzgründer holen. Doch schon am zweiten Tag hat man sie quasi rausgeschmissen, ihre künftige Tätigkeit sei eine Scheinselbstständigkeit. "Stimmt nicht", sagt Maren Bahde und verweist auf Paragraf 84 des Handelsgesetzbuches. Danach handele es sich um den Beruf einer selbstständigen Handelsvertreterin.

Thekla Jessen wollte schon die Flinte ins Korn schmeißen, doch Maren Bahde hat sie wieder aufgebaut und will ihr zu Recht und Geld verhelfen, denn: Der Business-Plan ist genehmigt, die IHK räumt dem Job gute Zukunftschancen ein. Nun warten Gründerin wie Beraterin gespannt auf das Urteil der Sozialrichter. Bundesweit gibt es, so Bahde, eine Fülle von ähnlichen Klagen.