Der Marsch nach den Gesetzen seiner Zunft hat ihn durch halb Deutschland geführt

Bad Bramstedt. Nick, der Wandergeselle, ist allein auf weiter Flur. Mit raumgreifenden Schritten stapft er am Rande der Bundesstraße 206 in der Nähe von Bad Bramstedt durch den Schnee, einem imaginären Ziel entgegen. Seine rechte Hand umklammert den "Stent", den spiraligen Wanderstab. Der gibt ihm Sicherheit auf seiner einsamen Pirsch. Nick trägt keine Handschuhe, die beißende Kälte spürt er nicht. Hin und wieder dreht er sich um und hebt die Hand. Nick Franke ist auf der Walz.

Wenig später sitzt der 20 Jahre alte Zimmermannsgeselle neben mir auf dem Beifahrersitz und erzählt seine Geschichte. Nick kommt aus Thurnau in Oberfranken, er hat bereits einen langen Weg hinter sich. Er hat sich vor einigen Monaten von seinen Eltern und seiner Freundin verabschiedet und sich auf den Weg gemacht. "Ich möchte mich fortbilden und die Tradition meines Berufsstandes aufrecht erhalten", sagt er.

Der Marsch, der nach den Gesetzen seiner Zunft mindestens drei Jahre und einen Tag dauern muss, hat ihn durch halb Deutschland geführt. Zuletzt war er in Nordfriesland und auf der Hallig Hooge. "Dorthin bin ich gegangen, weil ich lernen wollte, wie man Reetdächer herstellt und wie man Blockhäuser baut", sagt der Wandergeselle, der sich auch in fremden Ländern noch umschauen möchte. Zuletzt haben ihn eine Schmiede- und eine Tischlergesellin begleitet, auf einer Autobahn-Raststätte an der A 7 haben sie sich getrennt.

Nick Franke, der irgendwann noch sein Fachabitur bestehen will, weil er nach Höherem strebt, gehört zu der Vereinigung von gleichgesinnten Bauhandwerkern, die in die Welt hinausziehen, um sich mit den Bräuchen, Lebensgewohnheiten und Arbeitspraktiken anderer Völker und Menschen vertraut zu machen. Wer auf die Walz geht, muss die Gesellenprüfung bestanden haben, jünger als 30 Jahre alt sein, unverheiratet und keine Schulden haben.

Die rechtschaffenen fremden Gesellen, wie sie genannt werden, gehören der ältesten deutschen Zunft an. Sie pflegen die überlieferten Riten, getrennt für das Maurer- und Steinhauerhandwerk sowie für die Zimmer- und Schieferdeckergesellen, so wie sie vor Jahrhunderten entstanden und im Laufe der Zeit gewachsen sind.

Nick ist stolz auf sein Outfit, das er sich kurz vor seinem Aufbruch gekauft hat: auf den breitkrempigen Hut, der verhindern soll, dass beim Arbeiten über Kopf Sägespäne in den Kragen fallen; auf die Cordhose mit dem weiten Schlag; auf die "Staude", das kragenlose Hemd; auf die Weste mit acht und die Jacke mit sechs Knöpfen und auf den Schlips, der im Gesellenjargon "Ehrbarheit" heißt und der nur lose in den Kragen gesteckt wird. In einem gelben Tuch, das wie eine Wurst geformt ist, hat er seine Habseligkeiten verpackt. So klopft er an den Türen an, bittet um Arbeit, um Unterkunft und Verpflegung.

Ein Handy ist nicht im Gepäck, das ist für die Männer auf der Walz verboten. Aber Nick, der akribisch ein Tagebuch führt, hat etwas Geld dabei.

Beim Möbelhaus Kraft in Bad Segeberg steigt Nick aus. Eine Unterkunft für die Weihnachtstage hat er noch nicht. Aber er bleibt Berufsoptimist, auch wenn es bitterkalt ist. "Ich werde bestimmt nette Menschen finden, die mich aufnehmen", sagt der einsame Wandersmann. Dann nimmt er seinen "Stent" und macht sich auf die Socken.