Norderstedter Kaufmann betrieb 140 Scheinfirmen und ergaunerte vom Finanzamt 192 Millionen Mark. Von dem Geld kaufte er sich ein Schloss - nun muss er ins Gefängnis.

NZ-Redakteur Frank Knittermeier schrieb am 8. Dezember 1993:

In einem der größten Steuerbetrugsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik hat das Kieler Landgericht den Norderstedter Kaufmann Walter S. gestern zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Die zuständige Wirtschaftsstrafkammer befand den 53-jährigen Unternehmer nach elf Verhandlungstagen für schuldig, zwischen 1987 und 1992 beim Kieler Finanzamt rund 192 Millionen Mark an Vorsteuer-Erstattungen erschlichen zu haben. Das Firmenimperium des Norderstedters hat sich inzwischen weitgehend aufgelöst: Bei den meisten Unternehmen handelte es sich um Scheinfirmen, deren einziger Mitarbeiter S. selbst war.

S. hatte bereits zu Prozessbeginn vor fünf Wochen unter Tränen ein Geständnis abgelegt. Dabei hatte er eingeräumt, die Millionen als Geschäftsführer der international verzweigten Firmengruppe AM (Arbeitstechnik/Medizin) mit Hilfe gefälschter Warenrechnungen an eine Londoner AM-Filiale erschwindelt zu haben. Als Motiv hatte er angegeben, mit dem Geld marode Industriebetriebe sanieren und Arbeitsplätze retten zu wollen. Das Gericht folgte dieser Darstellung nicht.

In der einstündigen Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter, S. habe "grob eigennützig gehandelt" und sei als "Konzernherr" bei Entlassungen von Mitarbeitern "keineswegs zimperlich" gewesen. Dies hatten in der fünfwöchigen Beweisaufnahme mehrere ehemalige Angestellte der AM-Firmengruppe geschildert. Die Tatsache, dass S. sich monatlich teilweise zweistellige Millionenbeträge vom Finanzamt Kiel-Nord erstatten ließ, bezeichnete der Richter als "am Rande" des Vorstellungsvermögens.

Der Schilderung, er habe keinen aufwendigen Lebensstil geführt, widersprach der vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung scharf. So habe der Norderstedter in seinem für insgesamt 20 Millionen Mark erworbenen und restaurierten 22-Zimmer-Schloss in Tremsbüttel (Kreis Stormarn) wie ein "Sonnenkönig" in "Saus und Braus" gelebt. Als Sponsor habe er etliche Millionen Mark in den Motorsport investiert und selbst zeitweise fünf Nobelkarossen zur gleichen Zeit besessen. Auch mehrere schleswig-holsteinische Vereine habe der Sportfan mit "etlichen hunderttausend Mark" unterstützt, um "sein Ansehen zu steigern". In Norderstedt sponserte er die Volleyball- und Handballabteilungen bei TuRa Harksheide.

Das Vorgehen des Angeklagten sei "keineswegs mit einem Schmunzeln abzutun", meinte der Richter. S. habe sich vielmehr "parasitär am Volksvermögen bereichert".

Keinen besonders schweren Fall erkannte das Gericht lediglich bei den S. vorgeworfenen Urkundenfälschungen. Die Qualität der fingierten Rechnungen sei "lächerlich" gewesen. Bereits der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer geschildert, wie S. die Fälschungen auf einer alten mechanischen Schreibmaschine "im Zwei-Finger-Suchsystem" beging. Dabei habe er in Minuten mehr Geld verdient, "als ein Richter oder Lehrer in seinem ganzen Leben". Von den 192 Millionen Mark werden dem Finanzamt nach Berechnungen der Staatsanwaltschaft lediglich rund 50 Millionen zurück erstattet werden können. Der genaue Verbleib des Geldes konnte in dem Prozess nicht geklärt werden.