Logistikbataillon 162 steht ab Januar 2010 für Einsätze bei Katastrophen oder bewaffneten Konflikten bereit.

Boostedt/Letzlingen. Die Befehle kommen kurz und knapp, die Stimme klingt ein bisschen atemlos. Der Stress ist dem Patrouillenführer anzusehen. Verletzte schreien um Hilfe, verstörte Männer torkeln umher, Zivilisten kommen mit Schaufeln in der Hand bedrohlich näher. Jetzt heißt es, Nerven zu bewahren. Was die Männer und Frauen des Logistikbataillons 162 aus Boostedt mitten in der Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt durchspielen, kann ihnen im realen Einsatz im Ausland jederzeit widerfahren: Bei einem Unfall fährt ein Geländewagen der Bundeswehr in eine Gruppe von Zivilisten - die Folge: Tote und Verletzte.

"Wir müssen auf alles gefasst sein", sagt Bataillonssprecher Ralf Willnat, der mit 750 Soldaten aus Boostedt an einem zweiwöchigen Intensivtraining im Gefechtsübungszentrum des Heeres teilnimmt. Davon stehen ab Januar 250 Männer und Frauen für internationale Einsätze unter NATO-Kommando bereit. Die Regeln sind streng. Willnat: "Wer die Ausbildung nicht durchläuft, geht nicht ins Einsatzland." Die Unterkünfte in Sachsen-Anhalt sind dieselben, wie sie im Ernstfall im Kongo, im Libanon oder anderswo auch zur Verfügung stehen: Zehn-Mann-Zelte oder für je vier Soldaten gestapelte Wohncontainer, in denen es zu zweit schon eng ist.

Die Lage um den umgestürzten Geländewagen ist unübersichtlich. Anschlag oder Unfall? Wer sind die Männer mit den Schaufeln? Sind die Helfer, die im Konvoi eintreffen, in einen Hinterhalt geraten? Zuerst geht es um Sicherheit und einen kühlen Kopf. Die Soldaten springen von den quer gestellten Lastwagen. Mit der Waffe im Anschlag postieren sie sich rund um die Unglücksstelle. Die ersten Helfer erkunden die Situation, die Rettung beginnt: Herzlungenmassage zur Wiederbelebung, Verbände für die Wunden, gutes Zureden.

Obwohl das gesamte Szenario eine Übung ist, fordern die Kommandeure einen präzisen Ablauf wie im Ernstfall. Per Video wird der Einsatz dokumentiert. Soldaten des Gefechtsübungszentrums stehen am Rand und machen sich Notizen. Was schief geht und was gut läuft, wird später bei der Manöverkritik penibel besprochen. Fehler, die in der Letzlinger Heide passieren, können im Ernstfall katastrophale Folgen haben.

"Eigensicherung ist das Wichtigste", sagt Willnat. Treffen die Soldaten im Einsatzland ein und haben sich für ein Lager entschieden, igeln sie sich mit Stacheldraht, Betonsperren und Barrieren ein. Auch Sandsack-Schippen, um sich genügend Deckung bei Beschuss zu verschaffen, gehört dazu. 5000 waren es in Letzlingen - ein Knüppeljob im strömenden Regen. Selbst bei einem Katastropheneinsatz vertrauen die Soldaten nur sich selbst. "Da will uns zwar keiner was Böses", sagt Willnat. "Doch wir müssen zum Beispiel mit Plünderungen rechnen."

Szenenwechsel zum Haupttor ("Maingate") des Lagers, das bei einem Einsatz immer gleich aussehen würde. Betonpoller und mit Sand gefüllte Container verhindern das Durchbrechen von Fahrzeugen. Bewaffnete Posten stehen bereit, Besucher kommen ausschließlich durch die Personenschleuse ins Lager. Dort ist gleich die erste Durchsuchung schief gegangen. Der "Besucher", der von einem Soldaten gespielt wird, konnte trotz des Abtastens Handys und andere Utensilien im Hosenbund durch die Kontrolle schmuggeln. Die Kontrolleure vom Logistikbataillon müssen noch ein bisschen üben.

Alle Soldaten und die Fahrzeuge am Maingate tragen kreisrunde Laserreflektoren. In Letzlingen schießen die Ausbilder nicht mit Übungsmunition, sondern mit Laser. Gefeuert wird aus Geräten, die aussehen wie Ferngläser und per Knopfdruck Beschuss mit MG oder Raketen simulieren. Jeder Treffer und die Folgen - verwundet oder tot - werden im Computer aufgezeichnet. Ein Höllentraining für die Soldaten, selbst wenn es nirgends knallt.

Ein paar Kilometer an der Station CRC fliegen gerade die Fetzen. Die Abkürzung steht für "Crowd and Riot Control", was frei übersetzt bedeutet, eine aggressive Menschenmenge in Schach zu halten. Die Darsteller vom Gefechtsübungszentrum legen sich mächtig ins Zeug, um die Boostedter Soldaten in Bedrängnis zu bringen. 30 Männer werfen sich mit aller Kraft gegen die Postenkette, die sich wie eine Bereitschaftspolizei mit Helmen, Schilden und Knüppel gegen die aufgebrachte Menge schützt. Fässer und Reifen fliegen und auch die Gummiknüppel. Mancher gestresste Soldat vergisst im Geschrei und Tumult völlig, dass er nur zum Training hier ist und schlägt kräftig zu. Freunde macht er sich damit bei den "Randalierern" nicht.

Soldaten mit Schild und Knüppel gibt es erst seit wenigen Jahren. Als im Kosovo aufgebrachte Randalierer ein Kloster stürmen wollten, das von der Bundeswehr bewacht wurde, schickten sie Frauen und Kinder vorneweg. Die Soldaten standen vor der Frage: Schießen oder evakuieren? Auf eine andere Option waren sie nicht vorbereitet. Die Schutztruppe evakuierte das Kloster und zog sich zurück. Wenig später beschaffte die Bundeswehr Spezialausrüstung, um sich gegen Aufständische zur Wehr setzen zu können, ohne zur Waffe greifen zu müssen. Ob die Soldaten 2010 zum Einsatz gerufen werden, weiß bislang niemand. Nur eines steht fest: "Wir müssen extrem gut vorbereitet sein", sagt Bataillonssprecher Willnat.