Die Boeing 737-230, die 1985 auf den Namen “Norderstedt“ getauft wurde, diente erst bei der Lufthansa, dann auf Hawaii und gammelt heute auf einem legendären Flughafen in Roswell, New Mexiko, vor sich hin.

Norderstedt. Ohne Triebwerke, das Cockpit abgedeckt, so steht sie da, verloren in einer dürren Grassteppe unter der sengenden Sonne von New Mexiko. Auf dem Roswell International Air Center ist die 24 Jahre alte Boeing 737-230, die bis 1996 mit dem Namen "Norderstedt" auf den Flugplänen der Welt auftauchte, für ihre finale Bestimmung zum letzten Mal gelandet. Ausgemustert und bereit, abgewrackt zu werden, von Firmen, die sie als Ersatzteillager nutzen.

Zur Taufe wird eine Flasche Mumm-Sekt verkippt

Ihre Geschichte beginnt am 9. Oktober 1985 im Hangar 4 des Flughafens Fuhlsbüttel. Hannelore Schmidt, Frau des Norderstedter Bürgermeisters Volker Schmidt, steht vor 400 geladenen Gästen am Ende einer Gangway, die vor die Bugnase der silber glänzenden Boeing geschoben wurde und lullert mit Verve und den besten Wünschen für Flugzeug und Crew eine Flasche Mumm-Sekt über die Nase des Flugzeugs.

Die in den USA gefertigte Boeing 737-230 Advanced, Listenpreis damals 55 Millionen Dollar, mit 133 Sitzplätzen, einer Länge von 30,53 Metern, einer Spannweite von 28,35 Metern, einem maximalen Startgewicht von 58 100 Kilogramm, einer Reisegeschwindigkeit von 963 km/h, die mit zwei Pratt & Wittney JT8D-15-Triebwerken mit 71,2 Kilonewton Schub erreicht wird und ihr eine Reichweite von 4200 Kilometern ermöglicht, ist jetzt nach der jüngsten Stadt Schleswig-Holsteins benannt und trägt die Kennung D-ABMC.

Elf Jahre ist die D-ABMC ein Arbeitspferd für die Lufthansa

"Die 737 war das Arbeitspferd der 80er-Jahre", sagt Wolfgang Weber von der Lufthansa in Berlin. Welches Feld die "Norderstedt" in ihren elf Dienstjahren bei der Lufthansa beackern musste, kann Weber nicht exakt sagen. "Wahrscheinlich das ganze Europa-Netz", sagt er und muss lachen. Denn in den alten Pressemitteilungen von 1985, die Weber hervorkramt, brüstete sich die deutsche Airline noch mit den 126 Flugzeugen, mit denen sie alle Destinationen in Europa anflog. Weber: "Heute fliegen dreimal so viele Flugzeuge für uns."

Die Geschichte so ziemlich jeden Flugzeuges auf der Welt wird weniger von den Archivaren der Airlines als mehr durch den Enthusiasmus einer von außen betrachtet leicht durchgeknallten Spezies Sammelwütiger dokumentiert: Die "Planespotter". Mit ihren Kameras liegen sie an den Start- und Landebahnen dieser Welt auf der Lauer. Was den Paparazzi eine Britney Spears beim Koitus im Whirlpool, ist den Planespottern eine seltene Antonow im Landeanflug vor blauem Himmel. Wer also die Kennung D-ABMC googelt, findet viel, wenn nicht alles über die "Norderstedt" heraus. Er kann die "Norderstedt" im Oktober 1986 sehen, wie sie über das Rollfeld in Heathrow gezogen wird. Oder wie sie 1993 im neuen, schneeweißen Lufthansa-Design abermals am Londoner Großflughafen andockt, oder im August 1994 am Pariser Charles-de-Gaulle landet.

Bei einem Unfall stößt sich die "Norderstedt" Flügel und Nase

Etwa ein Jahr zuvor, genauer am 4 Juli 1994, um 9.37 Uhr, kommt es abermals in Heathrow zum wahrscheinlich einzigen Unfall der "Norderstedt". Als nämlich der 54-jährige und mit über 15 000 Flugstunden erfahrene Pilot nach der Landung und dem Erreichen der Parkposition aus Unachtsamkeit vergisst, die Park-Bremse anzuziehen, die "Norderstedt" etwa fünf Meter weiterrollt und sich an der Anlegestelle die Spitze des linken Flügels und die Verschalung der Turbine anstößt. Die 86 Passagiere und sechs Crewmitglieder kommen mit dem Schrecken davon, der Pilot und sein Co müssen sich peinliche Fragen gefallen lassen.

"Flugzeuge wie die 737 können locker über 30 Jahre fliegen. Allerdings wird die Wartung von Jahr zu Jahr teurer", sagt Wolfgang Weber von der Lufthansa. Die Deutschen Airliner pflegen ihre Flotte im weltweiten Vergleich vorbildlich. Kaum eine Maschine ist deutlich länger als zehn Jahre im Dienst. Weber: "Unsere Gebrauchten verkaufen sich sehr gut, weil andere Airlines wissen, dass sie gut gepflegte Ware bekommen, die technisch auf dem neusten Stand ist."

Die alte "Norderstedt" macht jetzt Insel-Hopping auf Hawaii

Für die 737-230 D-ABMC ist 1996 der Lufthansa-Dienst beendet und damit auch der Name "Norderstedt" passé. Die Boeing wird an die hawaiianische Airline mit dem irgendwie erwartbaren Namen "Aloha" verkauft. Den Namen "Norderstedt" behält die Lufthansa und gibt ihn am 19. März 1997 einem Airbus 319 mit der Kennung D-AILH, der heute noch als "Norderstedt" im europäischen Luftverkehr fliegt.

Doch die 737-230 ist nun mal die erste "Norderstedt" und damit was Besonderes. Als N821-AL und ansonsten namenlos fliegt sie ab 1997 im Pazifik zwischen den traumhaften Inseln Hawaiis Touristen und Einheimische hin und her und hüpft ab und an über den großen Teich auf das amerikanische Festland.

20-Minuten-Flüge bei Guaven-Saft und Coca-Cola

Der amerikanische Tourist Kyle Matson, der im Internet akribisch seine Flugreisen dokumentiert, berichtet von einem 20-Minuten-Flug mit der 737-230 im März 2004 von Honolulu auf der Insel O'ahu nach Kahalui auf der Insel Maui. "Der Service war gewöhnlich, wir konnten nur zwischen Guaven-Saft und Cola wählen. Ich nahm einen Guaven-Saft", schreibt Matson.

"Aloha" hatte neben der alten "Norderstedt" weitere Boeings 737 in der Flotte. Eine davon kam zu traurigem Weltruhm und Hollywood-Ehren.

Eine "Aloha"-Schwester ist der Katastrophenflug 243

Dem "Aloha Airlines"-Flug 243 reißt 1988 nach dem Start in Honolulu in einer Höhe von 7300 Metern ein kleiner Teil der oberen Rumpfschale ein. In den folgenden Minuten vergrößerte sich dieser Riss so weit, dass er zu einer Ablösung der kompletten Kabinendecke im Bereich zwischen Cockpit und Flügelvorderkante führte. Die Ablösung der kompletten Kabinendecke führte zu einer schlagartigen Dekompression. Flugbegleiterin Clarabelle Lansing befand sich auf Höhe der Reihe 5 und wurde nach Passagierberichten durch den Sog aus dem Flugzeug gezerrt - ihre Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Flugbegleiterin Jane Sato-Tomita befand sich vorn in der Kabine - sie wurde durch herumfliegende Teile verletzt und zu Boden geworfen, wo sie von Passagieren bis zum Ende des Fluges festgehalten wurde. Flugbegleiterin Michelle Honda befand sich zwischen Reihe 15 und 16 - trotz ihrer Verletzungen war es ihr möglich, sich zwischen den Reihen zu bewegen, die Passagiere zu beruhigen und auf eine Notwasserung vorzubereiten. Von den 90 Passagieren wurden 57 schwer verletzt. Bis auf die Stewardess Lansing überlebten aber alle. Das Flugzeug landete sicher auf Maui. 1990 kam der Film "Katastrophenflug 243" von Dick Lowry in die deutschen Kinos. Er gilt bis heute als einer der besten seines Genres.

Vom Pazifik zur letzten Ruhe an der UFO-Absturzstelle

Für die alte "Norderstedt" ist das Pazifik-Abenteuer im November 2007 beendet. Roswell ist zumindest ein illustrer Ort für die letzte Landung. Zwischen 1941 und 1967 war das Roswell Army Airfield eine wichtige Militär-Basis der USA. Und wurde zu einem der Lieblingsorte der Verschwörungstheoretiker. Denn am 8 Juli 1947 soll es hier zum "Roswell Ufo Zwischenfall" gekommen sein. Die Army gab an, die Überreste eines Wetterballons gefunden zu haben. Doch Army-Kritikern und Ufo-Gläubigen nach soll die Army nahe Roswell die Trümmer einer abgestürzten fliegenden Untertasse aus dem Weiten des Alls samt den Leichen von Außerirdischen gefunden und danach versteckt haben. Aber das ist eine andere, viel ausschweifendere Geschichte.

Über die Webseite Airliners.com haben wir die Fotos für diese Geschichte gefunden. Wir bedanken uns bei den Planespottern M. Azizul Islam aus Wembley (England), Jason Behesti aus San Jose (USA) und Colin T. Ebert aus Belews Creek (USA).