Die Erinnerung, dass bei uns in der Öffentlichkeit gebetet wird, ist nur noch sehr schwach ausgeprägt. An gemeinsame Schulgebete kann sich kaum noch jemand erinnern.

Bei der Bundeswehr gehört das Kommando "Helm ab zum Gebet" noch zum großen Zapfenstreich. Gebete in der Öffentlichkeit erinnern an Zwang zum Glauben, den soll es aber nicht geben.

In den letzten Tagen wurde viel über ein Gerichtsurteil geschrieben: Ein moslemischer Schüler hat sich das Recht auf ungehindertes Beten an seiner Schule erstritten. Die Angst ist da, dass er nun dieses Recht als Mittel zur Mission benutzen könnte. Wenn er demonstrativ in einen Raum zum Beten geht, müssen dann nicht die anderen auch folgen? Werden dann nicht die diskriminiert, die nicht beten wollen? Viele Moslems wollen doch gar nicht so eng sich an ihre Regeln halten, wurde gesagt. Wird nicht Druck ausgeübt, dass alle sich zu ihrer Religion bekennen? Und: Schule und Religion geht nicht zusammen, der Staat muss neutral bleiben.

Zu spüren ist bei manchen Argumenten die Abneigung gegen alle Religionen. Auch dafür mag es gute Gründe geben. Allerdings ist es klug, die eigenen religiösen Wurzeln nicht zu verleugnen: Unser Land hat einen starken christlichen Hintergrund. Das Grundgesetz beginnt im Vorwort mit der Rede von der Verantwortung vor Gott. Wenn man für sich und für alle die Vernünftigkeit eines Glaubens bezweifelt, dann wird man wider dem eigenen Willen selbst zum Darsteller einer dogmatischen Religion. Es ist der Glaube an die Wissenschaft, die Aufklärung, den Humanismus oder welche Begriffe sonst für die eigene Dogmatik missbraucht werden.

Getarnt wird der Dogmatismus mit Hinweisen auf Toleranz oder das allgemeine Übliche, das Normale, was es eigentlich immer gegeben hätte und nur durch die Religionen unterdrückt gewesen sei. Wieso wird diese Weltsicht aber durch Beten angegriffen? Wer selbst weiß, was er glaubt, der kann auch den anderen Glauben bestehen lassen. Zum richtigen Umgang mit anderen Religionen gehört zuerst die Kenntnis der eigenen. Jeder, der selbst zu seinem Gott beten kann, kann auch die Gebete der anderen ertragen. Wer Integration will, der muss das Nebeneinander von Religionen und Weltanschauungen zulassen und seine eigene nicht über die der anderen stellen. Eine große Aufgabe. Frommen Menschen sollte das leicht fallen. "In der Religion gibt es keinen Zwang", sagt der Koran in der zweiten Sure.