Tangstedter Landfrauen wollten das vom Aussterben bedrohte Obst eigentlich für den Weihnachtsmarkt zu Apfeltorte, Apfelmus und Gelee verarbeiten. Nun muss Ersatz her.

Tangstedt. Irgendjemand konnte nicht widerstehen. Jedenfalls sind sie weg. Bis auf einen. Ein einziger Wilstedter Apfel hing noch an den zwei jungen Obstbäumen, als die Tangstedter Landfrauen sich bei ihren einstigen Prachtexemplaren am Großen Wilstedter Teich im Ortsteil Wilstedt trafen. 25 rotbackige Wilstedter Äpfel zählte Renate Jank noch vor einigen Tagen. Die Vorsitzende des Landfrauenvereins Tangstedt freute sich darauf, die Äpfel Mitte Oktober ernten zu können. Dann sollten sie kühl gelagert werden, bevor sie zum Tangstedter Weihnachtsmarkt am Sonnabend vor dem ersten Advent zu Apfeltorte, Apfelmus und -gelee verarbeitet und zum Verkosten angeboten worden wären.

"Der eine kann jetzt auch noch runter", sagte Renate Stobbe, schüttelte den Baum und fing den Apfel geschickt auf. Auch im Gras lagen keine Äpfel, und die Frauen folgerten: Geklaut! Und sogleich kam es mit Schadenfreude: "Wer den Wilstedter Apfel jetzt isst, macht Bekanntschaft mit dem ,flotten Otto', denn der Apfel ist erst Ende Oktober reif!"

Der Wilstedter Apfel ist eine regionale Berühmtheit. Die fast ausgestorbene Apfelsorte wurde 2005 auf den Norddeutschen Apfeltagen zum "Apfel des Jahres" gekürt. Entstanden ist er tatsächlich in dem "stormarnischen Dorf Wilstedt im südlichen Holstein", wie Andreas Andresen in seiner Veröffentlichung "Apfelsorten" 1950 schrieb. Er soll 1928 vom Apfelbauern Johann Neels gezüchtet worden sein.

Andreas Andresen bezeichnete den Wilstedter Apfel in seinem Buch als "unregelmäßig geformt, meist etwas schief, mittelgroß bis groß, mit rauer, grüner Grundfarbe". Tatsächlich hat der Wilstedter Apfel rote Backen, weißes Fruchtfleisch und ist - das Wichtigste - saftig und aromatisch. Er ist ein sogenannter Winterapfel und schmeckt bei sachgerechter Lagerung von Januar bis März richtig lecker. Je älter der Wilstedter Apfelbaum wird, desto mehr Früchte trägt er. Und er kann sehr alt werden.

Trotzdem ist der Wilstedter Apfel vom Aussterben bedroht. Die Sorten-Bereinigung der 60er-Jahre hat auch Wilstedter Obstgärten nicht verschont. Die grüne Massenware besorgte den Rest. In anderen Regionen außerhalb von Südstormarn ist er gar nicht bekannt.

"Vier Bäume gibt es offenbar noch in Wilstedt", sagt Horst Völksen, Archivar der Gemeinde Tangstedt. Im Jahr 2005, als der Wilstedter Apfel zum "Apfel des Jahres" gekürt wurde, pflanzten der damalige Bürgervorsteher Günter Meier und der damalige Bürgermeister Thomas Schreitmüller nicht nur einen Wilstedter Apfelbaum im Apfelhain des Museumsdorfs Kiekeberg in den Harburger Bergen, sondern auch die zwei Apfelbäume am Großen Teich im Ortsteil Wilstedt, die jetzt offenbar von Apfeldieben geplündert wurden. "In diesem Jahr haben sie zum ersten Mal geblüht und Früchte getragen", sagt Völksen, der das Wachsen der neuen Wilstedter Apfelbäume genau dokumentiert.

Und woher nehmen die Tangstedter Landfrauen jetzt die Wilstedter Äpfel für den Weihnachtsmarkt? "Wir wissen, wo ein großer schöner Baum voller Früchte steht", sagt Jank. "Aber wir verraten jetzt natürlich nicht mehr, wo er steht", sagt Elke Schack.