Auf der Wittmoor-Ranch in Norderstedt werden Nervosität, Unsicherheit und Angst vor Bewerbungsgesprächen über Bord geworfen.

Norderstedt. Aimée folgt Erika Walter aufs Wort. Die Stute steigt artig über die Holzlatten, doch plötzlich bricht sie aus, reckt den Kopf nach unten - das frische Gras lockt. Doch keine Chance, Erika Walter fasst energisch das Halfter, zieht den Kopf hoch und sagt entschlossen: "Hier lang!" Das reicht, das Pferd befolgt den Befehl. "Das wäre früher undenkbar gewesen", sagt die Frau, die dem Kleinpferd so energisch den Weg gewiesen hat.

Erika Walter hat neues Selbstbewusstsein gewonnen - weiß, was sie kann und zeigt das auch. Die Stärke verdankt die Hamburgerin einem Training in Norderstedt. Auf der Wittmoor-Ranch hat sie Nervosität und Unsicherheit über Bord geworfen. Geschafft haben das Aimée und ihre Besitzerin Sandra Altmeyer (41). Die Pferdenärrin hat Hobby und Beruf zu einem Nebenjob kombiniert, der auf zunehmende Resonanz stößt: Karriereberatung mit Pferden.

"Die Tiere sind sensibel, sie spiegeln das Verhalten der Menschen direkt und ohne Worte wider", sagt die Karriere-Trainerin, die im Hauptberuf bei einer Handelskette zuständig ist für mehrere Filialen. "Personaleinsatz, Ausbildung und der Umgang mit Mitarbeitern spielen dabei eine große Rolle", sagt die Frau, die die Ausbilder-Eignungsprüfung abgelegt, sich zum Coach und im Thema Karriereplanung weitergebildet hat. Sie hat klein angefangen, kennt die Situation an der Basis und weiß inzwischen, wie es sich anfühlt, andere zu führen und Verantwortung zu tragen.

"Führungsarbeit ist Beziehungsarbeit", sagt Altmeyer. Gerade junge Leute, die frisch von der Uni oder Fachhochschule kommen und nun im Management eines Unternehmens anfangen, müssten lernen, dass die Zahlen nur stimmen können, wenn der Umgang mit den Mitarbeitern stimmt. Respekt, Aufmerksamkeit, Sensibilität, Vertrauen, aber auch Konsequenz und Stärke - auf die Mischung komme es an. Soll ich die Mitarbeiter an der langen Leine lassen oder die Zügel anziehen? "Pferde sind die idealen Testobjekte", sagt Sandra Altmeyer. Schon der erste Kontakt ist entscheidend. Wird das Tier beachtet, bekommt es gar Leckerli? Werden bestimmte Gesten und Worte wiederholt und entwickeln sich zu Ritualen, schafft das Vertrauen. Als Erika Walter Richtung Stall geht, hebt Aimée sofort den Kopf, kommt auf sie zu.

Die beiden haben nicht nur zueinander gefunden. Die Pintolewitzer Stute, mit 1,67 Meter genau an der Grenze zwischen Pony und Pferd, war der "Retter in der Not". Und die war groß, Im vorigen November verlor Erika Walter nach 16 Jahren ihren Job in einer Kosmetikfirma. "Ich wusste doch gar nicht mehr, wie man sich bewirbt", sagt sie. Prompt ging der erste Versuch auch schief. Zu nervös und angespannt war sie, als sie dem Personalchef gegenüber saß. Die Folge: Die psychische Belastung trieb den Blutdruck hoch, sie war traurig und nahm ab. Über Bekannte stieß sie auf Sandra Altmeyer und Aimée. "Nach dem Vorgespräch gingen wir sofort auf den Übungsplatz", sagt die Karriereberaterin. Erika Walter merkte sofort, wie ihre Unsicherheit sich auf das Pferd übertrug. "Das war eigentlich gar nicht nötig, denn Frau Walter ist eine selbstbewusste Persönlichkeit", sagt Sandra Altmeyer. Erst führte die Klientin den Vierbeiner an der Leine über den Sandplatz. Dann schaffte sie es, Aimée mit entschlossenen Kommandos durch das Tonnentor und über die Holzlatten zu bugsieren. Ihre Erfahrung: Bin ich präsent und freundlich, folgt mir das Pferd. Das war ein solches Erfolgserlebnis, dass die Arbeitslose die Klinik, die sie als neuen Arbeitgeber im Visier hatte, ohne Anmeldung betrat. Freundlich und strahlend ließ sie sich von Zimmer zu Zimmer weiterreichen und überstand das Gespräch problemlos. "Ich habe mir immer vorgestellt, dass mir Aimée gegenüber sitzt. Und schon habe ich mich gerade gemacht", sagt Erika Walter. Sie bekam den Job als Service-Assistentin, das Leben macht ihr wieder Spaß. "Das war zwar nicht ganz billig, aber die Investition hat sich auf jeden Fall gelohnt."